Gegen jede Regel
Ungewöhnliches für Teenager«, antwortete
er. »Es ging um die Stilrichtung der Band. Oder um die Qualität von Tobiasâ
Kompositionen. Und Eifersucht.«
»Eifersucht in Beziehungen?«
Werle nickte. »Jan war eifersüchtig auf Tobias und die
Mädchen waren alle untereinander eifersüchtig.«
»Und weshalb?«
Georg Werle schaute mich erstaunt an. »Die Mädchen wollten
alle mit Tobias zusammen sein. Und Jan war sauer, weil Tobias ihm erst letzte
Woche seine Freundin ausgespannt hat.«
Zum ersten Mal in dieser Befragung suchte ich Ninas
Blick. Sie war genauso verblüfft wie ich. Der Sozialpädagoge hatte mein
holzschnittartiges Bild des Jungen nicht nur zerschlagen, nun zertrat er auch
noch die Scherben, die davon noch übrig waren, zu Staub.
»Das müssen Sie uns bitte erklären.«
»Tobias und Jessica waren ein Paar. Sie haben zusammen
komponiert. Und Jan und Heike waren ein Paar. Heike hat letzte Woche mit Tobias
geschlafen und Jan war stinksauer. Jessica auch.«
Ich bemühte mich, das alles zu notieren, ging aber
schnell dazu über, mir eine Skizze zu zeichnen. »Jetzt verstehe ich, was Sie
mit Eifersucht meinen.«
»Letzte Woche ist der Streit eskaliert. Jan und Tobias haben
sich geprügelt. Ich habe die beiden voneinander getrennt. Aber selbst danach
schrien sie sich noch an.«
Ich wartete. Werle fuhr fort: »Jan drohte Tobias, ihn umzubringen.«
âºMotivâ¹ stand nun nicht mehr nur am Horizont meiner
Gedanken. »Was genau hat er gesagt?«
»Er sagte: âºIch bring dich um, du Hurensohn. Ich bring
dich um!â¹Â«
Wir schwiegen für gewichtige Sekunden, die ich nutzte, um
mir die Szene bildhaft vorzustellen. »Wenn man sich streitet und sich wie die
beiden auch noch prügelt, da sagt man doch häufig Dinge, die man eigentlich
nicht so meint.«
Herr Werle schüttelte entschieden den Kopf. »Das mag
sein. Aber Jan meinte es bitterernst. Sie haben seinen Blick nicht gesehen. Ich
möchte nicht wissen, was passiert wäre, wenn ich nicht dazwischengegangen wäre.«
Ich nickte langsam. Ich traute Georg Werle durchaus zu,
zwischen Worten, die im Eifer des Gefechts gesprochen wurden, und ernsten Drohungen
zu unterscheiden. Wahrscheinlich war das sogar eine seiner Hauptaufgaben an
dieser Schule. »Wir werden mit Jan und den anderen reden müssen.«
Werle sagte: »Diese Rivalitäten gab es auch nicht erst
seit letzter Woche. Das geht schon seit Gründung der Band so. Zuerst wollte Jan
mit Natalie anbandeln, aber die interessierte sich mehr für Tobias und lieà ihn
abblitzen. Jessica genauso. Nun war Jessica erfolgreich bei Tobias und Natalie
eifersüchtig auf Jessica. Heike wollte eigentlich etwas von Tobias, lieà sich
dann aber auf Jan ein.«
Nina fragte: »Heike war für Jan dritte Wahl?«
Georg Werle nickte. Und sogar Heike, die für ihn nur
dritte Wahl war, lief dann zu Tobias, um mit ihm zu schlafen. Ich konnte gut
verstehen, dass Jan sauer war. Wahrscheinlich war auch noch Natalie auf Heike
eifersüchtig, weil sie es trotz ihrer Beziehung mit Jan geschafft hatte, in
Tobiasâ Bett zu landen. Das Beziehungsgeflecht, das ich in mein Notizbuch
gemalt hatte, erinnerte mich an eine Seifenoper.
»Das klingt alles ziemlich kompliziert«, sagte ich.
»Für einen AuÃenstehenden bestimmt. Aber ich war die
ganze Zeit dabei. Ich habe noch versucht, mit Jan zu sprechen, aber er ist
abgehauen. Ich habe seine Worte sehr ernst genommen. Seine Eltern erreicht man
nicht. Ihn habe ich auch nicht mehr erwischt. Ich wollte heute bei der Probe â¦Â«
»Was ist mit Tobias? Hat er die Drohung auch ernst genommen?«
Herr Werle schüttelte den Kopf. »Ich weià es nicht. Er
war sauer und hat geflucht. Dann ist er auch abgehauen. Ich war ratlos. Aber
jetzt denke ich natürlich â¦Â«
Ich sagte entschieden: »Ich wüsste nicht, warum ausgerechnet
Sie sich Vorwürfe machen sollten. Immerhin haben Sie sich um die Schüler gekümmert.«
»Ja, aber wenn ich doch nur â¦Â«
»Es ist nicht erwiesen, dass die Streitigkeiten in der
Band mit dem Tod von Tobias in Verbindung stehen. Wir werden den Hinweisen
nachgehen, aber es ist viel zu früh, um Schlussfolgerungen zu ziehen. Es gibt
durchaus auch noch andere Anhaltspunkte in unseren Ermittlungen.« Gerade der
letzte Satz war zwar nicht ganz richtig,
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