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Gegen jede Regel

Gegen jede Regel

Titel: Gegen jede Regel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Stammsen
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griff in ein Regal, zog eine CD heraus und
legte sie in Ninas ausgestreckte Hand. Sie zeigte mir das Cover. Darauf waren
fünf Jugendliche mit grimmigen Gesichtern vor schwarzem Hintergrund abgebildet.
Es sah nicht besonders spektakulär aus, aber die Musik konnte es ja trotzdem
sein. Ich erkannte Tobias im Vordergrund, die anderen würden wir gleich
kennenlernen.

    Nina verstaute die CD in ihrer Jacke, dann verließen wir
das Büro. Wir liefen durch einen feinen Nieselregen über den Schulhof, an der
Sporthalle vorbei zu einem kleinen Nebengebäude. Die Tür quietschte in den
Angeln, als Werle sie aufstieß. Uns drang Heavy Metal in einer Lautstärke
entgegen, dass sich mir die Fußnägel aufrollten. Ich biss die Zähne zusammen
und folgte den anderen.

    Nina drehte sich zu mir um und lächelte. »Hier sind wir
richtig«, sagte sie.

    Ob ich hier
richtig war, wusste ich nicht, aber wenigstens würden wir die anderen vier
Schüler der Band treffen. Wir folgten dem Lärm über einen kurzen Flur. Sogar
ich konnte hören, dass es sich nur um den Soundcheck und noch nicht um eine
richtige Probe handelte. Die würde es heute auch nicht geben, denn ohne
Leadgitarre keine Heavy-Metal-Band.

    Als Herr Werle die Tür öffnete, hatte ich für einen Moment
das Gefühl, der Schalldruck würde mich umwerfen. Ich zog den Kopf ein und schob
mich tapfer vorwärts, als kämpfte ich gegen einen Hurrikan. Noch während wir ins
Tonstudio traten, erstarb die Musik.

    Die Stille hinterließ einen schmerzhaften Nachhall in
meinen Ohren. Meine Augen waren davon nicht betroffen und in der zwielichtigen
Studiobeleuchtung betrachtete ich die Schüler an ihren Instrumenten. Ein Junge
war hinter dem Schlagzeug postiert – das konnte nur Jan sein. Bei der Zuordnung
der drei Mädchen musste ich warten, bis wir uns vorstellten. Jedes der Mädchen
hielt eine Gitarre in der Hand. Ein Platz mit einer Gitarre war leer.

    Die Schüler musterten uns mit argwöhnischen Blicken. Herr
Werle ging voran und sagte: »Hört mal, das hier sind Frau Gerling und Herr
Wegener von der Kriminalpolizei. Sie sind hier, weil …«

    Â»â€¦ weil Tobias heute Morgen tot aufgefunden wurde«, beendete
ich den Satz und blieb meiner Linie treu.

    Alle vier starrten mich vollkommen fassungslos an. Einem
der Mädchen sackten die Beine weg, bevor Nina sie auffangen konnte. Es schlug
dumpf auf dem schallschluckenden Boden auf. Nina kniete sich neben die
Schülerin und versuchte alles, damit sie wieder zu Bewusstsein kam.

    Die anderen verharrten wie versteinert. Die Stille war
vollkommen, aber es war keine Stille, aus der man Ruhe schöpfen konnte. »Können
wir uns hier irgendwo hinsetzen?«, schlug ich vor.

    Georg Werle war handlungsfähig und verschwand durch eine
Tür in den Nebenraum. »Unsere Namen kennt ihr ja schon. Ich heiße Wegener und
das ist Frau Gerling. Wie heißt ihr denn?«

    Die Schüler erwachten nur langsam aus ihrer Erstarrung.
Ich half noch ein wenig nach. »Du musst Jan sein.«

    Ich erntete ein stummes Nicken. »Und wer bist du?« fragte
ich das Mädchen, das mir am nächsten stand.

    Â»Natalie«, sagte sie mit dünner Stimme. Sie hatte ein hübsches
Gesicht, wie aus Porzellan modelliert, umrahmt von feuerrot gefärbten Haaren,
die in Stufen über ihre Schultern fielen. Ich ging einen Schritt auf sie zu und
nahm ihr die Gitarre ab. Ich bemerkte, dass sie leuchtend grüne Augen hatte und,
nach ihren Augenbrauen zu schließen, Braun als natürliche Haarfarbe.

    Â»Warum stellt ihr eure Gitarren nicht zur Seite?«

    Herr Werle kam mit ein paar Klappstühlen wieder herein
und ich bugsierte Natalie auf einen. Das Mädchen am Boden stöhnte leise, dann
half Nina ihr auf die Beine.

    Â»Hallo«, sagte ich. »Und wie heißt du?«

    Ihr Gesicht zeigte ein Kaleidoskop von Weiß-Gelb-Grün,
als sie sagte: »Jessica.«

    Jessicas Haare waren so schwarz wie die Nacht, sie hatte
schwarze Augen, schwarzen Lidschatten, schwarzen Lippenstift. Und schwarzen
Nagellack. Ich vermutete, dass sie im konventionellen Sinne gut aussehen
konnte, wenn sie auf ihr Metal-Outfit verzichtete. Ihre Kleider waren wie die
der anderen schwarz und mir ging durch den Kopf, dass sie gut zu Tobias passte.

    Wir bugsierten Jessica ebenfalls auf einen Stuhl. Inzwischen
war Jan hinter seinem Schlagzeug hervorgekommen und hatte

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