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Gegen jede Regel

Gegen jede Regel

Titel: Gegen jede Regel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Stammsen
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nicht dass
ich … Ich glaube …«

    Georg Werle sprang ein und rettete seinen Chef. »Nein, er
war nicht auffällig. Seine Leistungen waren solide und er hatte keine Probleme.«

    Â»Kein Alkohol? In einer Heavy-Metal-Band?«, fragte ich
zweifelnd.

    Â»Natürlich haben die gerne zusammen einen getrunken«,
sagte der Sozialpädagoge. »Aber hier an der Schule gibt es viele Schüler, die
deutlich mehr trinken. Das war kein Problem.«

    Â»Wie sieht es in der Schulgemeinschaft aus? Ausgrenzung,
Mobbing, Gewalt?« Ich wandte mich an Herrn Werle, der offenbar einen besseren
Einblick in das Schulleben hatte als der Schulleiter.

    Werle schüttelte den Kopf. »Nein, die Gruppe bestand zwar
aus Außenseitern, aber die Schüler wurden akzeptiert.«

    Â»Fallen Ihnen noch andere Schüler oder auch Lehrer ein,
mit denen Tobias Konflikte hatte?«

    Werle schüttelte erneut den Kopf.

    Ich fragte ihn: »Mich würde noch interessieren, warum Sie
so viel über Tobias wissen. Viel mehr als der Schulleiter oder die Lehrerin
seines Leistungskurses.«

    Â»Das ist meine Aufgabe«, sagte Werle und bestätigte damit
meine Vermutung, dass Interesse und Fürsorge an dieser Schule delegiert worden
waren. »Ich mache viele Projekte mit den Schülern und die Band ist eines davon.
Wir haben einen Raum so ausgestattet, dass man ihn als Probenraum und Tonstudio
nutzen kann. Wir haben sogar eine Demo-CD aufgenommen. Ich kann Ihnen eine mitgeben,
wenn Sie wollen.«

    Â»Gerne«, sagte ich, obwohl ich Heavy Metal nicht ausstehen
konnte.

    Â»Tobias war noch in einem anderen Projekt. Mit dem Informatiklehrer
gemeinsam organisieren wir hier in der Schule LAN-Partys, da hat Tobias auch
immer teilgenommen. Er war ein guter Spieler. Und ein guter Komponist.« Werle
presste seine Lippen zusammen. »Was rede ich denn, er war ein angenehmer Schüler,
ein toller Mensch.« Tränen begannen in seinen Augen zu glitzern.

    Für eine Sekunde dachte ich daran, Herrn Werle auch noch
in mein Beziehungsnetz aufzunehmen. Ich tat es nicht, denn seine menschliche
Reaktion hob ihn zwar von seinen Kollegen ab, machte ihn aber noch nicht
verdächtig.

    Ich vergewisserte mich mit einem Blick bei Nina, dass wir
fertig waren, dann sagte ich: »Wir danken Ihnen. Sie haben uns wertvolle
Hinweise gegeben. Heute oder morgen werden sich unsere Kollegen bei Ihnen
melden, um Ihre Aussage noch einmal aufzunehmen. Falls Ihnen sonst noch etwas
einfällt, melden Sie sich jederzeit.« Ich verteilte meine Karte.

    Wir standen auf, und als ich die Hand des Schulleiters ergriff,
fragte ich: »Wenn es Aufgabe des Sozialpädagogen ist, sich um die Schüler zu
kümmern, heißt das, Sie und die Klassenlehrer sind von dieser Aufgabe befreit?«

    Ich erwartete auf diese Frage keine Antwort und ich erhielt
auch keine. Wir ließen eine blasse Englischlehrerin und einen angesäuerten
Schulleiter zurück. Georg Werle begleitete uns durch das Sekretariat und
brachte uns zur Bandprobe.

    Auf halbem Weg sagte Nina: »Vergessen Sie nicht die
Demo-CD.« Dass Nina Heavy Metal mochte, musste ich verdrängt haben.

    Wir bogen zum Büro von Herrn Werle ab. An seiner Tür
waren die Termine der täglichen Sprechstunde abzulesen. »Ist Ihre Sprechstunde
sehr gefragt?«

    Er lachte humorlos. »Ich könnte mich selbst klonen und
wir könnten zu viert nichts anderes machen als eine offene Sprechstunde.« Er
schloss auf und wir folgten ihm.

    Es war ein gemütlich eingerichteter Raum mit Besprechungstisch,
einer Sitzgruppe um einen Couchtisch, auf dem Blumen und eine Box Taschentücher
standen. Weil ich von Zeit zu Zeit mit den Kollegen der Kriminalprävention zu
Mittag aß, hatte ich eine leise Ahnung von den Problemen, die in diesen Räumen
von Werle und den Schülern gewälzt wurden.

    Â»Wir haben achthundert Schüler und ich habe eine einzige
Stelle, dabei stehen wir im Vergleich zu anderen Gymnasien noch gut da. Und ich
habe keine Lust, den Problemen immer nur hinterherzurennen. Ich will auch
Prävention machen. Projekte. Schüler auf den richtigen Weg bringen und nicht
warten, bis es zu spät ist, und sie dann aus dem Dreck ziehen.« Die Worte
klangen bitter und ich verstand warum. Wahrscheinlich würde Sisyphos heute
keinen Felsen mehr rollen, sondern zur Strafe in einen Sozialpädagogen an einer
Schule verwandelt werden.

    Georg Werle

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