Gegen jede Regel
einbezogen.«
Tatsächlich gab es auch ein Blatt für einen gewissen Hendrik
Lübbert. Dessen Motiv wäre wohl gewesen, auch an dieser Partie teilzunehmen.
Russland hatte den besten Start gehabt. Also hätte er Tobias umbringen und sich
gleich als Ersatzspieler melden können. Ich fragte mich, ob Brodbeck ihn
deshalb einbezogen hatte oder nur der Vollständigkeit halber.
Ich wandte mich an Frau Brodbeck. »Dieses Spiel, Dominanz, verändert das einen Menschen
nicht?«
Sie überlegte einen Moment. »Ja. Eindeutig. Michael beschäftigt
sich sehr viel damit. Und ich habe das Gefühl, seitdem er das macht, ist er
sehr viel aufrichtiger geworden. Nicht mir gegenüber, sondern allen anderen
Menschen.«
Die Antwort überraschte mich. »Aufrichtiger? Wie kommt
das?«
»Wer das Spiel beginnt, schlüpft in eine Rolle. Er ist
nicht mehr er selbst. Man wird hinterhältig. Und erwartet auch von anderen nur
Schlechtes. Man muss mit jeder Gemeinheit rechnen, man sieht überall nur noch
Lügen und Hinterhalte.«
»Das klingt nicht sehr unterhaltsam.«
Herr Brodbeck sagte: »Wenn es ein Spiel ist, dann ist es
sogar sehr unterhaltsam. Mit der Zeit lernt man die Muster, wie eine Intrige
eingefädelt wird, was sie erfolgreich macht und was sie scheitern lässt. Woran
man erkennt, dass der andere lügt, und welche Hinweise es gibt, dass bestimmte
Vorkommnisse Teil einer Intrige sind.«
»Sie könnten in die Politik gehen«, schlug ich vor.
Er schüttelte energisch den Kopf. »Genau das könnte ich
eben nicht tun. Ich kenne die Muster und es ist vollkommen in Ordnung, wenn man
spielt. Wir treffen uns, es gibt die Regeln und dann geht es los. Niemand kann
überrascht oder beleidigt sein. Und es geht um nichts. Es ist nur ein Spiel.«
Er machte eine Pause und trank einen Schluck Tee. »Wenn ich
in die Politik schaue oder sehe, wie im Betrieb solche Sachen ablaufen, dann
finde ich das einfach nur abstoÃend. Diese Leute machen das nicht zum SpaÃ. Das
ist ernst. Es geht um Macht und Geld. Die Opfer sind Menschen.«
Ich versuchte, ihm zu folgen. »Das heiÃt, Sie bewundern
eine politische Intrige nicht, wenn Sie eine erkennen?«
»So etwas kann man fast jeden Tag entdecken. Aber das
sind keine erwachsenen Formen, miteinander umzugehen. Ich lehne es ab. Ich
beteilige mich nicht daran.«
»Im Spiel schon.«
»Das ist nur ein Spiel. Nur eine Rolle. Sie hat nichts
mit der Realität zu tun.«
Ich fragte mich, ob alle Spieler so gut zwischen Spiel
und Realität unterscheiden konnten. Zwischen Intrigen, die sie in ihrer Rolle
als Herrscher einer europäischen GroÃmacht sponnen, und Feindseligkeiten, denen
sie in dieser Funktion ausgesetzt waren, und dem echten Leben, in dem alle
Spieler Freunde waren. Oder sein sollten. Wie viele Menschen mochte es generell
geben, denen die Unterscheidung von Fantasie und Wirklichkeit schwerfiel?
»Sie verabscheuen Menschen, die im wirklichen Leben intrigant
sind?«
»Absolut.«
Es war ein schöner Gedanke, seine eigene dunkle Seite
ohne negative Konsequenzen in einem Spiel auszuleben und dafür im wirklichen
Leben umso heller als Leuchtturm der Aufrichtigkeit zu strahlen.
»Es gibt doch diese Mönche in China«, sagte ich. »Diese
Kung-Fu-Kämpfer.«
»Shaolin.«
»Ja, genau. Sie sind Meister des Kung-Fu und verabscheuen
Gewalt.«
Brodbeck nickte. »So in etwa sehe ich das auch mit den
Lügen und Intrigen.«
Seine Frau ergänzte: »Vielleicht solltest du auch noch erklären,
dass es einen Unterschied zwischen dem E-Mail-Spiel und dem Brettspiel gibt.«
»O ja. Ich komme nur mit dem E-Mail-Spiel einigermaÃen
klar. Ich kann mir in Ruhe überlegen, was ich schreibe, Formulierungen ändern.
Ich habe meistens eine Woche Zeit für einen Zug. Ich sehe meine Gegner nicht
persönlich. Ich bin ein zu schlechter Lügner für eine echte
Face-to-Face-Partie.«
»Face-to-Face ist eine Partie mit dem Brettspiel, wo alle
Spieler an einem Tisch sitzen und auf klassische Art spielen?«
»Ja. So wie wir jetzt hier sitzen. Dazu muss man noch
einmal ganz anders agieren können.«
Das leuchtete mir ein. Vielleicht war es sogar eher diese
Brettspielvariante, mit der ich ein Problem hatte.
»Gibt es denn gar keine gepflegten Feindschaften?
Spieler, die immer wieder
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