Gegensätze ziehen sich aus
neuartiges Virus, oder aber es waren Angstsymptome, weil der Besuch meiner Eltern immer näher rückte.
Ich machte den Katzen und den Kindern Frühstück, schmierte Schulbrote und schälte Äpfel, suchte und fand einen verschollenen Kinderschuh, hatte eine Diskussion darüber, ob man bei sieben Grad Außentemperatur ohne Mantel aus dem Haus gehen durfte, und brachte Julius in den Kindergarten.
Als ich zurückkam, ging es mir noch schlechter.
Ich überlegte, ob man gegen eingebildete Schmerzen wohl auch ein Aspirin nehmen könnte, als das Telefon klingelte.
»Bauer?«
»Spreche ich mit Frau Constanze Bauer?«
»Ja.«
»Frau Bauer, mein Name ist Barbara Lehmann, und ich bin heute Ihre Glücksfee. Denn Sie haben gewonnen! Ist das nicht großartig?«
»Nein danke, ich kaufe nichts.«
»Hahaha, nein, Sie müssen auch nichts kaufen, Sie haben ge wonnenl Bei unserer Glücksreisen-Verlosung! Und was soll ich Ihnen sagen? Sie sind für den Hauptgewinn vorgesehen!« Frau Lehmanns Stimme überschlug sich beinahe vor Freude.
»Aber ich habe bei gar keiner Verlosung mitgemacht.«
Frau Lehmann überging diesen Einwand. »Ich hoffe, Sie sitzen, denn sonst fallen Sie jetzt um, wenn ich Ihnen sage, was Sie gewonnen haben. Eine Reise nach Tunesien! Eine Woche Halbpension in einem Vier-Sterne-Hotel. Im Wert von zweitausend Euro! Na, was sagen Sie jetzt?«
»Ich könnte wirklich mal Urlaub gebrauchen.«
»Das haben Sie sich auch verdient«, sagte Frau Lehmann, die offenbar mehr über mich wusste, als mir lieb sein konnte. »Der Flug und das Hotel sind bereits für Sie reserviert. Ab in die Sonne! Alle Sorgen mal hinter sich lassen.«
»Ja, das wäre schön«, seufzte ich. Ich könnte für meine Eltern und Anton einen Zettel an die Tür hängen: »Musste leider mal eben umsonst nach Tunesien.«
»Das ist schön!«, rief Frau Lehmann. »Und das Beste kommt ja erst noch: Sie dürfen eine Begleitperson mitnehmen! Und die bekommt den Urlaub für die Hälfte! Sagenhafte fünfzig Prozent Ermäßigung! Na? Ist heute Ihr Glückstag, Frau Bauer?«
Jetzt wurde ich doch ein wenig misstrauisch. »Und wenn ich lieber allein fahren würde?«
»Das geht leider nicht.« Jetzt seufzte Frau Lehmann. »Die Reise ist nur für zwei Personen reserviert. Aber warum wollen Sie denn nicht Ihrem Mann auch mal was gönnen? Für nur neunhundertneunundneunzig Euro können Sie es sich zu zweit mal so richtig gut gehen lassen.«
Wie bitte? Also, das war doch ...
»Glauben Sie nicht, weil ich blond bin, könnte ich nicht rechnen«, sagte ich böse.
»Na, das ist ja auch nicht schwierig zu rechnen, Frau Bauer«, sagte Frau Lehmann, eine kleine Spur aggressiver. »Selbst ein Kleinkind würde verstehen, dass Sie einen super Gewinn gemacht haben. Eine Reise im Wert von zweitausend Euro umsonst, und Ihre Begleitperson bekommt auf die gleiche Reise fünfzig Prozent. Wer da nicht zuschlägt, ist selber schuld.«
»Bei Palmen-Reisen kosten zwei Wochen Tunesien im Vier-Sterne-Hotel achthundertzwanzig Euro pro Person, Vollpension!«, sagte ich. »Wenn man dort also zu zweit einen Urlaub bucht und regulär bezahlt, spart man immer noch achtzig Euro gegenüber Ihrem Hauptgewinn samt sagenhafter Fünfzig-Prozent-Ermäßigung. Wer ist denn so blöd und fällt auf Ihren Pseudogewinnquatsch herein?«
»Wir können die Leute natürlich nicht zu ihrem Glück zwingen«, sagte Frau Lehmann. »Wenn Sie vor Ihrem Glück die Augen verschließen wollen, ist das Ihre Sache.«
»Tja, dann verschließe ich jetzt mal ganz fest die Augen«, sagte ich und legte auf.
Kaum hatte ich aufgelegt, klingelte es wieder.
»Sie können mich mal!«, rief ich in den Hörer.
»Hier ist deine Mutter. Wir sind schon hinter Bremen.«
»Was? Aber ihr wolltet doch erst morgen kommen.« Wenn überhaupt.
»Ja, aber so ist es besser«, sagte meine Mutter. »Wir zahlen ja ab morgen schon gutes Geld für unser Zimmer, da wollen wir keinen Tag verplempern.«
Na, das war ja wieder mal typisch. Dass andere Menschen ihre Tage auch verplant hatten, zogen sie gar nicht in Erwägung. Wenigstens nicht bei mir.
»Aber ich habe die Betten noch nicht überzogen ...«, begann ich. Da erst dämmerte mir, dass gerade das Wunder geschehen war, um das ich gebetet hatte: Wenn meine Eltern heute schon kamen, dann waren sie morgen Abend schon längst wieder weg. Das bedeutete, sie würden Anton gar nicht zu Gesicht kriegen. Und der konnte mir nicht mal Vorwürfe machen, schließlich war es nicht meine Schuld,
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