Gegensätze ziehen sich aus
wird sie genau daraus einen Riesenvorteil ziehen. Ihre Mutter musste das Gleiche durchmachen als Kind. Ihre Schwester ebenfalls.«
»Ich finde, du machst es dir da viel zu leicht.« Ich nahm einen Schluck Rotwein und sah, dass Anton wieder seine Kiefer aufeinanderpresste. Ja, genauso hatte ich mir das gedacht: Mit mir zusammenziehen wollte er, und von der Schule durfte ich seine Tochter auch abholen, aber in die Erziehung würde er sich niemals reinreden lassen.
»Es würde vielleicht nicht so schlimm sein, wenn sie für jeden Blödmann, der Schlitzauge zu ihr sagt, eine Freundin oder einen Freund an ihrer Seite hätte, der das gemeine Kind glotzäugiger Fettsack oder hirnamputierter Blödmann nennt«, sagte ich. »Aber sie hat ja keine Freunde.«
»Das ist nicht wahr«, verwahrte sich Anton. »Sie hat mindestens eine Verabredung in der Woche, und die Mädchen aus ihrer Ballettschule wollen immer alle mit ihr spielen.«
»Ihre Mütter wollen das«, sagte ich. »Weil sie gerne hätten, dass ihre Töchter mit der Enkelin von Aisleben Pharma befreundet wären. Diese Mädchen mögen Emily gar nicht besonders, und Emily findet sie alle fürchterlich.
»Das vermutest du jetzt als Psychologin?«
»Dafür muss ich keine Psychologin sein«, sagte ich. Und ich war ja auch keine, Mann! »Emily hat mir selber gesagt, dass das einzige Mädchen, mit dem sie wirklich gern mal spielen würde, dir und deiner Mutter zu komisch angezogen ist.« Na, das hatte sie zwar nicht gesagt, aber ein bisschen Polemik durfte doch wohl erlaubt sein.
»Was redest du denn da? Emily darf mit jedem Kind spielen, mit dem sie spielen will. Und wenn sie mit einem Kind nicht spielen will, dann muss sie es auch nicht tun.«
»Ja, klar. Gib doch zu, dass du das heute alles zum ersten Mal hörst.«
Jetzt sah Anton richtig wütend aus. »Wenn Emily etwas unbedingt will, glaub mir, dann redet sie auch mit mir darüber.«
»Kinder sagen einem nicht alles.«
»Aber alles Wichtige.«
»Nein, tun sie nicht. Es nutzt ja auch nichts, wenn die Eltern sie ignorieren und trotzdem machen, was sie wollen.«
»Ich nehme alle Rücksicht der Welt auf Emily«, sagte Anton zornig.
Ja, das tat er wirklich.
»Und wie steht sie zu deinen Plänen, ein Haus für uns alle zu kaufen?«
Für einen Moment schien Anton völlig aus dem Konzept gebracht. »Wenn sie sich dagegen sträubt, dann doch nur, weil ...« Er unterbrach sich. »Ha! Wie raffiniert du bist! Aber ich durchschaue dich!« Wie bitte?
»Du möchtest dich hinter der Meinung einer Sechsjährigen verstecken. Nicht Emily ist hier das Problem, sondern du bist es! Du bist diejenige, die das Zusammenziehen hinauszögert!« Bei jedem »Du« streckte Anton seinen Finger aus und zeigte auf meine Nase.
»Und du verstehst es wirklich, den Spieß rumzudrehen«, rief ich und versuchte, Antons anklagenden Zeigefinger zur Seite zu schlagen.
Anton fing meine Hand ab und hielt sie fest. »Ich habe doch recht. Du hast diese unmögliche Nummer bei der armen Frau Hittler mit voller Absicht abgezogen. Nicht mein Geschmack, Kellersaunen sind blöd, viel zu teuer ... - alles nur, weil du dich nicht traust, Nägel mit Köpfen zu machen. Ja, so ist das: Du meinst es einfach nicht ernst mit uns.«
»Nur weil ich nicht hinter deinem Rücken schon mal den Umzugswagen bestelle? Ich gehe die Dinge eben einfach ein bisschen langsamer an.« Ich sprach mit sehr viel weniger Nachdruck, alsich eigentlich wollte, was daran lag, dass Anton mich immer noch festhielt. Sein Geruch und seine Körperwärme lenkten mich ab.
»Ja, wir gehen die Dinge komplett verschieden an«, sagte Anton, wobei er auf meinen Mund starrte und mich enger an sich heranzog.
»Wir passen gar nicht zusammen«, murmelte ich. Gott, was roch dieser Mann wunderbar.
»Nein, das tun wir nicht«, sagte Anton. Und dann küsste er mich.
Zwei Stunden später lagen wir erschöpft und glücklich nebeneinander auf dem Wohnzimmerteppich, und Anton sagte: »Ich weiß gar nicht, worüber wir uns andauernd streiten. Wir sind füreinander geschaffen.«
»Jedenfalls in dieser Beziehung«, sagte ich. »Sagt man doch: Gleich und gleich gesellt sich gern, aber Gegensätze ziehen sich aus.«
Anton fing wieder an, mich zu streicheln. »Es wäre auch irgendwie furchtbar, wenn du so wärst wie ich.«
»Erst recht, wenn du so wärst wie ich«, sagte ich und stellte mir mein männliches Pendant vor: ein Typ, der sich vor Hunden und seinen Eltern fürchtete, bei »Heidi« Rotz und Wasser
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