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Gegenwinde

Gegenwinde

Titel: Gegenwinde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Adam
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allzu leicht in Weltuntergangsstimmung gerät.
    »Hören Sie zu«, schlug ich vor, »wir werden in aller Ruhe essen. Eine gute Nacht miteinander verbringen. Für morgen früh bin ich auf die Wache bestellt. Ich werde hingehen. Sie bleiben brav so lange hier, und danach bringe ich den Jungen zu seiner Mutter und versuche, mit ihr zu sprechen.«
    Ich sah seine Augen aufleuchten, er ergriff meine Hand, und sein ganzer Körper bebte vor Dankbarkeit. Einen Augenblick war er drauf und dran, mich zu umarmen, aber dann besann er sich eines Besseren. Hinter seiner phlegmatischen Art verbargen sich ein großes Herz und blankliegende Nerven. Thomas tat, als hörte er nichts, er schlug rechte Gerade und stieß dabei kleine Schreie aus. Wir schauten ihm eine Weile zu, und der Große fiel nach und nach in seine anfängliche Haltung zurück: Ernüchtert, mit hängenden Schultern und krummem Rücken schien er nur noch halb so groß zu sein. Gott allein wusste, wann er nach dieser Eskapade seinen Sohn wiedersehen würde. Das Deckenlicht kündete von ernsthaften Spannungsabfällen. In der Garage roch es nach einer Mischung aus Schweiß und Zement, es begann kalt zu werden. Gerade als der Kleine seinen letzten Schlag austeilte, einen kurzen, saftigen rechten Haken, war Schluss. Wir saßen im Dunkeln. Er zog die Handschuhe aus, und ich schickte die beiden unter die Dusche.

Ich wartete einen Moment auf dem Flur. Ein Geruch nach öffentlichen Einrichtungen wehte da, Krankenhäuser Sozialdienste Rathäuser Schulen Altersheime, und dazu der Duft von löslichem Kaffee und kaltem hellem Tabak. Männer kamen und gingen, meist jung, in zu hellen und zu engen Jeans und grauen Rollkragenpullovern. Manche trugen eine Waffe am Gürtel. Combe schien es nicht eilig zu haben, mich zu empfangen. Ich blätterte in zwei, drei Automobilzeitschriften, mein Vater hatte welche gelesen, ich fragte mich immer, warum, er wechselte alle zehn Jahre den Wagen und schwor nur auf Renault. Ich stand auf, um ein paar Schritte zu gehen, und sah mein Spiegelbild in einer Scheibe. Sehr frisch wirkte ich nicht, das war das mindeste, was man sagen konnte. Der Große und ich hatten bis spät in der Nacht gequatscht, Thomas war gegen zwei Uhr eingeschlafen, er hatte so lang durchgehalten, wie es irgendwie ging, und bis zum Schluss darauf bestanden, nein, er wäre nicht müde. Er war ein sympathischer, aber innerlich zerrissener Junge, ein Bündel aus Angst, auch wenn er sich zusammennahm, wusste er, woran er war: Sein Vater hatte eine große Dummheit begangen, und er würde ihn nicht so bald wiedersehen. Dann waren wir zu Hochprozentigem übergegangen. Auf diesem Gebiet fühlte sich der Große jedem gewachsen. Sogar mir. Wir hatten getrunken, ohne allzu viel zu reden, ab und zu beschwor er eine Erinnerung, eine Einzelheit dessen, was er sein Leben vorher nannte.
    »Vor was?«
    »Vor dem Knast. Ich war nicht lang drin, es war hart, Sie können sich das gar nicht vorstellen, aber das Schlimmste war, als ich rauskam. Ich hatte nichts mehr. Ich hatte alles verloren. Meinen Job, meinen Sohn, meine Frau. Sie hat ja nie etwas geahnt, aber ich glaube, sie hat dann die ganzen Jahre im Kopf noch einmal ablaufen lassen, ich glaube, sie hat sich gesagt, ich muss sie all die Jahre für dumm verkauft haben, ich war oft weg, sie hat nie so genau wissen wollen, was ich treibe, sie hat wohl gedacht, ich bin mit meinen Kumpels einen trinken. Von den Lügen, den Spritzen, den Drogen und dem Verticken hat sie nichts geahnt. Zwei oder drei Mal hat sie mich besucht, und dann hab ich nichts mehr gehört, bis ich rauskam. Und da war es vorbei. Sie war umgezogen, sie hatte beantragt, dass man mir das Besuchsrecht entzieht, weil ich sozusagen schädlich bin für Thomas. Der einzige Mensch, der mir die Hand gereicht hat, war Alain, er hat dafür gesorgt, dass ich eingestellt wurde, und wir haben im Team gearbeitet. Drei Jahre lang. Bis zu deinem Umzug. Die Fortsetzung kennst du. Verdammt, eine schöne Scheiße hab ich da angerichtet. Alain haben sie meinetwegen gefeuert, du hast die Bullen am Hals, und ich darf zurück auf Anfang.«
    Wir haben uns besoffen, um diese ganze Scheiße zu vergessen, man brauchte ihn nur anzuschauen, um zu begreifen, dass dieser Typ ein Pechvogel war und das Unglück sich in seinem Leben schon immer wie zu Hause fühlte.
    Combe streckte seinen dicken, sanftmütigen Schädel durch die Tür und winkte mich herein, er war aschfahl im Gesicht und schnäuzte sich alle drei

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