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Gegenwinde

Gegenwinde

Titel: Gegenwinde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Adam
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die Zeit musste ihm lang vorkommen in dem düsteren Holzdekor. Ich trat ein, um einen Whisky zu trinken. Wir unterhielten uns zwischen polierten Schildkrötenpanzern, umgedrehten Booten, Holzkisten, Rudern Karten Kompassen Sonnenuhren Sextanten Steuerrädern, er wartete ungeduldig auf die Ferien, ein paar Häuser würden geöffnet und die nach Rennes oder Paris abgewanderten Kinder würden ein paar Tage darin verbringen, dann ginge die trübselige Jahreszeit weiter.
    Ich betrat das Haus, ohne zu läuten, niemand schien erstaunt, mich zu sehen. Sie waren fertig mit dem Essen und ärgerten sich beim Pferdchen-Spiel. Manchmal hatte ich den Eindruck, die Verhältnisse standen auf dem Kopf. In der Familie war ich der etwas besoffene Onkel, der sich aufs Sofa fallen ließ. Ich schloss die Augen, alles schwankte, die Stimmen der Kinder lullten mich ein. Eigentlich wollte ich nichts anderes, als sie friedlich und unbeschwert in meiner Nähe zu wissen, Sarah hatte sie im Wohnzimmer spielen lassen, während ich döste oder las, die Tür meines Arbeitszimmers stand immer offen, damit ich sie hören konnte. Manon gewann das Rennen, niemand hatte Lust, sie zu schlagen. Ich murmelte einen Glückwunsch. Sie kam und schmiegte sich an mich. Ich öffnete ein Auge, es gab nur noch uns und die Nacht, die anderen waren schlafen gegangen.
    »Ich hab Angst, es ist zu dunkel.«
    Ich knipste eine Lampe an und legte ein orangefarbenes Tuch über den Lampenschirm.
    »Ist es so besser?«
    »Ja, so geht’s. Weißt du was?«
    »Ja.«
    »Mama fehlt mir so.«
    »Ich weiß. Mir fehlt sie auch.«
    »Warum gehen wir nicht zu ihr?«
    »Wie denn das?«
    »Warum gehen wir nicht mit ihr?«
    »Weil wir nicht wissen, wo sie ist.«
    »Ja, aber wenn sie tot ist.«
    »Was dann?«
    »Wenn sie tot ist, dann brauchen wir nur alle drei zu sterben, dann sind wir bei ihr.«
    »So was soll man nicht sagen, Manon.«
    »Warum?«
    »Ich weiß nicht. Aber das soll man nicht. In deinem Alter darf man nicht sterben wollen, auch nicht, um zu seiner Mama zu kommen. Außerdem, weißt du, niemand weiß, was aus einem wird, wenn man stirbt.«
    »Was glaubst du?«
    »Ich glaube, dass dann alles aufhört, mein Engel.«
    »Dann bin ich gar nicht bei Mama, wenn ich tot bin?«
    »Ich glaube nicht, nein.«
    Sie schmiegte sich noch enger an mich, und ich legte mein Kinn auf ihren Kopf, so schauten wir beide zum Fenster, ich konnte es nicht sehen, aber ich war sicher, dass sie die Augen offen hatte, sie weinte nicht und ich auch nicht, draußen ahnte man die schaukelnden Boote, ein Wind hatte sich erhoben, und Wolken bedeckten den Mond.

Am nächsten Tag schaute ich nach den Fahrstunden im Krankenhaus vorbei, ich versuchte, jeden Tag zu kommen, außer mir sah Élise nicht viele Menschen. Sie schlief mit geschlossenen Fäusten, das rohe Licht der Neonröhren betonte die Knitterfältchen ihres Gesichts, die erschlafften Züge, die müde, blasse Haut. Ich nahm meinen Platz ein auf dem zerschlissenen orangefarbenen Sessel, in den Fluren liefen Leute mit Infusionen herum, hingen an Beuteln mit Glukoselösung, Antibiotika und Paracetamol. Eine Krankenschwester kam herein und bat um Entschuldigung, sie wolle sich um »die Körperpflege der Dame« kümmern. Ich verließ das Zimmer, am Ende des Flurs ging Élises Tochter mit dem Telefon am Ohr zwischen den Grünpflanzen hin und her. Sie war eine ängstliche, sanfte und zierliche Frau, trotz des strengen Kostüms hatte sie ein kindliches Gesicht und hing immer an der Strippe. Sie war am Vortag angekommen und hatte nicht mehr als fünf Minuten am Stück im Zimmer bleiben können, ihre Augen flackerten, als wäre sie ständig am Rand der Tränen.
    »Sie lassen mich einfach nicht … Sie rufen mich alle fünf Minuten an. Wir haben einen großen Auftrag, es ist das erste Mal, dass sie mir so eine Sache anvertrauen, verstehen Sie …«
    »Wann fahren Sie wieder?«
    »Morgen früh, ich kann nicht anders. Wenn es schiefgeht, bin ich entlassen. Mein Chef ist schon sauer, weil ich zwei Tage weg bin.«
    »Und Ihr Bruder, Ihre Schwester?«
    »Pierrick sitzt da unten fest, seine Frau steht kurz vor der Entbindung. Und Hélène habe ich noch nicht erreicht. Entschuldigen Sie, es ruft jemand an.«
    Élise wachte nur selten auf, verwirrt blickte sie sich dann um und war offenkundig jedes Mal überrascht und enttäuscht, im Krankenhaus zu sein. Mit den Zeitschriften, die ich ihr anbot, konnte sie nichts anfangen. Bringen Sie mich hier raus, sagte sie mit

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