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Gegner des Systems

Gegner des Systems

Titel: Gegner des Systems Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Jon Watkins
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wieder an seine Brust. Sie leistete keinen Widerstand, sondern gab ihm zitternd nach, als sei sie von seiner Realität nicht überzeugt. Er küßte sie auf Stirn und Augen und schob dann ihren Kopf unter sein Kinn. Seine Hand streichelte mit einer rhythmischen, stetigen Bewegung ihr Haar. Er atmete langsam, um sie durch das stetige Heben und Senken seines Brustkastens zu beruhigen.
    Er fühlte, daß ihre geistige Gesundheit auf dem Sprung war; sie stand fluchtbereit auf dünnen Beinen, kurz vor einer Reise in den Irrgarten ihres Unterbewußtseins, und es konnte Monate dauern, bis man ihre Spuren gesucht und sie wiedergefunden hatte. Das Dickicht ihres Bewußtseins versprach ein Versteck, und davor lauerten Kreaturen mit Zähnen und Klauen und wollten sich auf sie stürzen. Offensichtlich hatte sie diese Flucht schon einmal angetreten, bevor er zu ihr gekommen war. Und dorthin, in den dunklen Wald ihrer Seele, war sie den schreckenerregenden Sirenen und Lautsprechern des Verhörs entkommen.
    Wie sie herausgekommen war, wie sie aus der Wildnis ihres Unterbewußtseins emporgestiegen war, um zitternd am Rand der Realität stehenzubleiben, auf der Hut vor einem Geräusch, einer feindseligen Bewegung, die sie sofort wieder in das Gestrüpp zurückjagen würde, wie sie das geschafft hatte, wußte er nicht sicher. Aber ihre Körperbewegungen und die Anspannung ihrer Muskeln verrieten ihm, daß sie wieder fluchtbereit war, wenn er sie nicht halten konnte. Sie würde dann für eine lange Zeit nicht mehr zufällig auf die breite Straße der Realität zurückkehren, und die leichteste falsche oder zu schnelle Bewegung könnte sie wieder davonjagen lassen, verloren für immer.
    Welsh legte seine Wange an ihre Stirn und brachte seine Lippen nahe an ihr Ohr. Er sagte kein Wort, sondern ließ nur sanfte, leise Klänge in ihr Ohr entfliehen, eine Art Musik zur Beruhigung ihrer Furcht, ein Schlaflied gegen die schrillen Klänge der Verfolgung und Verhaftung, die noch in ihrem Kopf ertönten.
    Langsam beruhigten die Nicht-Worte ihre Angst, und er spürte, wie ihre Muskeln sich entspannten. Aber erst, als sie zu weinen begann, wußte er, daß sie nun wieder ganz in Sicherheit war.
    Das Schluchzen brach zunächst in langen Abständen aus ihr heraus, wie ein langsam einsetzender Regen, bis die Pausen immer kürzer wurden. Schließlich brachen ihre Reserven zusammen, und eine Flut von Tränen benetzte seinen Hals und sein Hemd, und sie drängte sich eng an ihn. Mit jedem Schluchzen schüttelte sich ihr Körper, und die Bewegungen folgten aufeinander wie Regenschauer, bis sie durch ihre Gewalt zerrissen zu werden schien. Und dann hörten sie auf.
    Er spürte, wie sich ihre Sinne wieder zusammenfanden, wie der Film einer Explosion, der rückwärts abläuft. Nach kurzer Zeit war sie schon wieder fast ebenso stark, wie sie es früher immer gewesen war. Er drückte sie so lange eng an sich, bis ihm die wachsende Koordination ihrer Muskeln verriet, daß sie das nicht mehr nötig hatte. Sie war nun permanent wieder in der Realität und brauchte nur noch ein einziges weiteres Bindeglied, um vollständig an die Gegenwart eingebunden zu werden. Seine Hälfte von ihr war vollständig; jetzt mußte nur noch ihre professionelle Hälfte angesprochen werden, um sie wieder ganz zu sich selbst kommen zu lassen.
    „Brendan hat einen Schuß abgekriegt“, sagte er. „Kannst du die Blutung aufhalten?“ Er spürte, wie sie tief Luft holte und ihm zunickte.
    „Wo ist er denn?“ Ihre Stimme zitterte noch ein wenig, aber die Bedürfnisse eines Patienten lösten bei ihr den lange antrainierten Reflex aus, ihre eigenen zurückzustellen, so lange es nötig war.
    Ein bleistiftdünner Lichtstrahl kam aus der Richtung von Brendans Körper. Light richtete die kleine Taschenlampe auf den Verwundeten herunter. Eve spannte ihre Muskeln, aber Welsh legte seine Hand auf ihren Arm. „Es ist alles in Ordnung. Hier kann uns niemand sehen.“ Sie krochen zusammen über den Lederfußboden zu Brendan hinüber.
    Während sie dorthin krochen, drehte ihm Eve den Kopf zu. Er konnte sie kaum erkennen, aber er wußte, was sie dachte. Er lachte halb und sagte sanft: „Nein, das bist nicht du; der Boden unter dir schwankt wirklich. Außerdem ist er wirklich aus Leder und nicht aus Gras. Das wird schwer zu glauben sein, aber Light hat es fertiggebracht, daß wir nur zwei Zentimeter groß sind und daß uns Stark in einer Koppeltasche trägt.“
    Glücklicherweise hatten sie Brendan

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