Geh auf Magenta - Roman
schließlich nur noch ein- bis zweimal im Vierteljahr sahen.
In langen Stunden dachte sie darüber nach, abends, vor dem Fernseher, im morgendlichen Stau auf der Autobahn und während der ausgedehnten Spaziergänge auf den Feldern. Sie war jetzt fünfunddreißig, jedes weitere Jahr brachte sie der erbarmungslosen Vierziger-Marke näher, irgendwann einmal könnte es zu spät sein, für eine vertraute Langzeitbeziehung, für eine Familie, Kinder, für all das, was sie sich eigentlich wünschte, was sie derzeit für diese Liebe zu Bastien aufgab bzw. nicht wirklich zuließ. Denn es bedeutete zuerst einmal ein Zulassen, ein Eingehen auf einen möglichen anderen, etwas, das ihr zunehmend schwerer fiel. Es schien, als überzöge eine schuppenartige Masse mehr und mehr ihren Körper, so weit, dass sie sich nach einigen Monaten bereits zu einem Panzer ausgehärtet hatte. Und der Panzer besaß durchaus ein Eigenleben, sagte ihr, dass eigentlich doch alles gut sei, dass niemand sonst ihrer Liebe wert sei, dass sie es doch wunderbar habe, so allein, so gemütlich, ohne Verpflichtungen, sie solle genießen, einfach nur endlos das Leben genießen, es gäbe sonst nichts, wirklich nur das Nichts , und wenn dieses Nichts sie erst einmal in den Krallen hätte, wäre es zu spät, für alles, das müsste sie inzwischen doch wissen.
Dieser Anruf von ihm, wahrscheinlich war das nur eine Kurzschlussreaktion, ein simpler Streit mit seiner Frau, vielleicht sollte sie nur als Beweis seiner Männlichkeit herhalten, einmal wieder, sie kannte das bei ihm. Und sie kannte ihn wirklich, zumindest hatte er ihr doch genügend Intimitäten aus seinem Leben anvertraut, seine Ängste vor der drohenden Erfolglosigkeit, vor dem finanziellen Knockout (daraufhin hatte sie ihm mehrmals Geld geliehen), seine Sehnsüchte, insbesondere nach Abenteuern und Reisen in die Tropen. Das Letztere konnte sie vollkommen mit ihm teilen, auch in ihr schlummerte diese Lust auf romantische Urwälder, Robinsonaden, endlose Wüsten und neblig-verwunschene Bergtäler am Ende eines Irgendwo; woher sie das hatte, konnte sie nicht sagen, vielleicht sogar von Bastien selbst, aus ihrer beider Anfangszeit, als er noch mit träumenden Augen vor ihr saß und sich in solchen Szenarien verlor.
In der Folge lernte sie das Reisen lieben, sie fuhr zum Tiefsee-Tauchen nach Java, zum Trekking ins Ruwenzori, zum Trailing nach Australien, stets allein, im letzten Fall am Steuer eines starkmotorigen Allrad-Jeeps, mit dem sie das Northern Territory in Rekordzeit durchquerte; wenn sie schon nicht ihr Herz besiegen konnte, dann doch wenigstens eine widerspenstige Natur.
Es war nie zu einer gemeinsamen Reise gekommen, auch wenn sie immer wieder darüber sprachen, Bastien würde es aber niemals über sich bringen, mit einer anderen als seiner Frau zu verreisen, auch wenn diese offenbar nie Lust dazu hatte und das mit den Kindern und ihrer Arbeit belegte. Das Ergebnis bestand darin, dass auch er allein verreiste, um ihr nach seiner Wiederkehr davon vorzuschwärmen, was zweierlei in ihr auslöste: Ihre Liebe zu ihm stieg um weitere Stufen an, ihr Schmerz, dass er sie nie mitnahm, ebenso.
Die Dämmerung setzte ein, sie bestellte sich eine Weinschorle, nippte leicht am Glas.
Weshalb hatte er sie angerufen? Sie hatte keine Antwort darauf.
Sie nahm ihr Handy aus der Handtasche, es schien ihr besser, seine Stimme vorher zu hören, sie mochte keine bösen Überraschungen für den Abend, wenn er womöglich desinteressiert vor ihr stehen würde und damit klar wäre, dass es ihm wie immer nur um das eine ging.
Sein Telefon läutete, keine Antwort. Sie versuchte es noch einmal, schließlich drückte sie auf Stopp.
Sie hatte sich den ganzen Tag über auf ihn gefreut, auf ihre Gänsehaut, auf seine Erzählungen, auf seine Umarmungen; aber nun kam ihr dieses Treffen sinnlos vor, es wäre nur ein weiterer Schnitt durch die Brust, nur eine weitere Wunde, die niemals heilen würde, nur eine weitere verlorene Zeit ihres Lebens, es wäre nicht mehr.
Es gab etwas zu lernen.
Sie rief nach dem Kellner, trank das Glas aus, bezahlte und ging zum Auto zurück. Sie würde wieder nach Hause fahren.
Dem Panzer gefiel das.
*
Mel hörte ihre Mailbox mit versteinertem Gesicht ab. Sein dritter Anruf, der Blödsinn mit den Schecks und den Tantiemen. Wütend schrieb sie die SMS, erwähnte dabei aber nicht den sehr offiziell aussehenden Brief einer Ludwigshafener Kunstvereins-Jury, offenbar hatte er einen Preis
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