Geh auf Magenta - Roman
bekommen. Nicht jetzt, nicht heute, dachte sie sich, sie hätte seinen Anblick nicht ertragen können, sein fragendes Gesicht, seine vertraute Haltung, wenn er in der Tür stehen würde, sich dann für nur fünf Minuten setzen würde, dort, wo er immer saß, dort, wo ihr gemeinsames Leben immer stattfand. Aber nicht heute.
Zwei Knöpfe vor ihrem inneren Auge. Der eine war Bastien; ein Druck würde genügen, um ihm sein mieses Verhalten zu verdeutlichen; er würde das einsehen, sich in den kommenden Wochen weich und warm wie ein Stofftier benehmen, ihr jeden Wunsch von den Lippen ablesen, seine Reue zeigen, wann und wo sie es wollte.
Es bedurfte nur dieses einen Knopfdrucks, nur einmal, und er wäre wieder da.
Alles wäre wieder da.
Auch ihre Angst, sich dort wiederzufinden, wo sie niemals wieder sein wollte, im diffusen Halb-Halb, irgendwo verortet zwischen einer quasi alleinerziehenden Mutter und Künstlerin, in beidem vielleicht nicht gut genug, um wirklich darauf stolz sein zu können. Ein klassischer Tagesablauf sah so aus: Sie stand früh auf, setzte sich dann an den Rechner und arbeitete an ihren Bildern, ebenso gab es Telefonate mit ihrer Galerie und möglichen Förderern zu führen. Sie liebte diese Vormittage, konnte sie in ihnen doch zumindest einige der notwendigen Weichen stellen, die für ihre Arbeit wichtig waren. Am frühen Nachmittag kamen bereits die Kinder aus der Schule. Zuerst Zoe, später dann Debbie, nicht viel früher war auch Bastien im Badezimmer zu hören, der sich dann zumeist wortkarg und verschlossen an seine erste Kaffeetasse klammerte. Ihr Leben als Künstlerin fand zu dieser Zeit in der Regel ein Ende, das Mittagessen musste zubereitet werden, später folgte das Kümmern um die Hausaufgaben, intime Sorgen von heranwachsenden Mädchen wollten tröstend besprochen werden, bis sich zum frühen Abend hin alles zumindest ein wenig entspannte. Das war dann die Zeit, in der Bastien aus dem Atelier zurückkam, stets in besserer Laune als vorher, hatte er in der Zwischenzeit doch in Ruhe und von all diesen Dingen unbehelligt arbeiten können. Nun waren es seine Ansprachen zu diesem und jenem, mit denen sie es zu tun hatte, und an eine Flucht vor all dem war in der überschaubaren Wohnung nicht zu denken. Die anfänglichen Versuche, sich vor dem Rechner wortlos einzuigeln, schlugen auch immer fehl, da irgendjemand immer etwas von ihr wollte. An echten Freiraum war nicht wirklich zu denken. Freiraum , sie dachte bitter daran, hätte es doch eine Wertschätzung ihrer Arbeitszeit vorausgesetzt, die es offenbar nicht gab. Gerade Bastien, als Künstler, müsste wissen, wie wichtig eine solche Zeit für das eigene Vorankommen war. Manchmal stand er aber hinter ihr, frisch geduscht, um fröhlich vom kommenden Wochenende zu plaudern, da es ja einmal wieder einen Haufen Partys abzurocken gäbe; dann wieder wollte er sie spontan verführen, was umso unsinniger war, da Zoe im Zwei-Minuten-Rhythmus hereinkam, weil ihr schlicht langweilig war. Kein Gedanke von ihm daran, dass auch er sich einmal um die beiden kümmern könnte, sei es nur, um mit ihnen einen blöden Disney-Film anzuschauen oder sich wirklich auf sie einzulassen, ganz einfach mit ihnen zu sprechen.
Sie starrte auf den Boden vor sich. Der Mann, nach dem sie sich sehnte, der stand an ihrer Seite und an der der Kinder, der begriff sie auf Augenhöhe. Mehr war es nicht, doch nur das. Wäre das so schwierig gewesen – Bastien? Einmal nicht nur an sich zu denken, sondern an das, was man eine Familie nannte, etwas, für das man sich auch mit ganzem Herzen verantwortlich zeigte? Wahrscheinlich hatte er, als Künstler und waschechter Egomane, nie verstanden, wie wichtig ihr das war, mit jemandem zu sein, nicht nur mit Leinwänden, Farben und gleichgesinnten Kumpeln.
Ihre Kunst blieb nicht allzu selten auf der Strecke, zumal die Arbeit nicht ganz unaufwendig war, Hunderte an Fotos wollten gesichtet und bearbeitet werden, die Masse war ein wesentlicher Bestandteil ihrer künstlerischen Philosophie; Spurenbilder lebten von einem immanenten Vergleich, einzelne Bilder waren kaum aussagekräftig genug für das, was sie sagen wollte. Und sie hatte etwas zu sagen; aus einzelnen Spuren und Mustern konnte man auf das Ganze schließen, das Ganze wiederum ließ Rückschlüsse auf das Einzelne zu; sie war fasziniert von diesem Wechselspiel der sich daraus ergebenden Erkenntnisse, denn darum ging es doch in der Kunst, dachte sie, eben eine Erkenntnis durch
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