Geh auf Magenta - Roman
interessante Arbeit ablieferte. Aber nicht nur das, während der Zusammenarbeit kamen sie ins Gespräch, und sie fühlte sich von seinem kulturellen Wissen, seinem wachen Verstand und nicht zuletzt von seinem Äußeren angezogen; zu dieser Zeit zeigte er sich gerne in komplettem Existentialismus-Schwarz, unrasiert, die ersten drei Knöpfe seines Hemdes waren immer offen. Sie hatte heimlich einige hundert Male dorthin geschaut, um sich vorzustellen, wie er sich dieses Hemd in ihrer Gegenwart ganz vom Leib ziehen würde – eine Vorstellung, die ihren Adrenalin-Spiegel jedes Mal hochschnellen ließ, so dass sie am Ende so verwirrt war, dass sie all seine Zeichnungen kritiklos absegnete und zum Druck freigab. Dass sie dabei einige Anstößigkeiten wie Andeutungen von menschlichen Geschlechtsorganen und Grimassen neben dem Konzern-Logo übersah, sorgte später dafür, dass die geplante Broschüre niemals veröffentlicht wurde und sie sich vom Vorstand einiges anhören musste.
Bastiens Blicke verfingen sich immer öfter im Ausschnitt ihrer Bluse, der sich von Tag zu Tag ihrer Zusammenarbeit wie von Zauberhand vergrößerte; so zeichnete er unmerklich eine Vagina nach der anderen in den Blättern. Am Tag 7 dieser langen Nachmittage in der Abteilung 35MC/Marketing war es dann um beide geschehen, als ihr vor Aufregung ein Kugelschreiber aus der Hand fiel, sie sich suchend niederknien musste und er einen nahezu unverhüllten Einblick auf ihren Körper bekam; als sie mit hochrotem Kopf wieder vor ihm stand und ihre Bluse glattstrich, materialisierte sich im leeren Raum zwischen ihnen wohl ein magnetisch aufgeladenes Energiefeld, das beide unweigerlich zueinanderzog, so dass sie sich nach kurzer Zeit in den Sesseln der angrenzenden Empfangs-Lounge wiederfanden, heillos miteinander verzahnt. Zum Glück war Tag 7 ein arbeitsfreier Samstag, schließlich sah man in US-Firmen einen solch engen Kontakt zwischen Mitarbeitern und Subunternehmern, wie Bastien offiziell bezeichnet wurde, nicht gerne.
In den folgenden Wochen verging kaum ein Tag, ohne dass er sie in ihrer Wohnung in Ahrensfelde besuchte und die Verzahnung ihre Fortsetzungen erfuhr. Seiner Freundin sagte er damals, es handle sich um die sogenannten Ahrensfelder Grafik-Projekttage , von einem kleinen unbedeutenden Kunstverein ins Leben gerufen, den er aber aus Überzeugung gerne vor Ort mit unterstütze. Kirsten konnte mit dieser Erklärung leben; mit der Tatsache, dass Bastien mit einer anderen Frau zusammenlebte, allerdings weniger. Aber er machte kein Hehl aus seiner Beziehung, sprach von seiner Freundin nicht wie von einer Aussätzigen und gelobte ihr nicht den Ahrensfelder Himmel auf Erden; es war vielmehr seine tagträumerische Art, die sie anziehend fand, und ebenfalls genoss sie diese Gänsehaut, die jede seiner Berührungen ihr bescherte. Der Preis bestand in der zwangsläufigen Akzeptanz vieler Kleinigkeiten, dass er stets am Nachmittag kam, da die Abende seiner Freundin vorbehalten waren, dass er sie in seinem Handy unter dem trockenen Kürzel Kur . wie Kurator gespeichert hatte, dass sie ihn besser nicht anrufen solle, und generell, dass sie einfach spürbar die Nummer zwei war.
Irgendwann dann häuften sich seine Absagen, die Besuche verknappten sich, ebenso das begehrliche Strahlen in seinen Augen. Nach einigen weiteren Wochen hatten sie dann den gelegentlichen Zustand eines call & come erreicht, etwas, das schon an ihrem Stolz nagte, das sie letztlich aber auch für dieses Größere in Kauf nahm, und dieses Größere war wohl nichts anderes als – Liebe. Sie musste sich eingestehen, dass sie Bastien liebte, aus ganzem Herzen. Er war das Original ihrer Liebe, nichts kam dem gleich. Und das Original war nur deshalb das Original, weil es einzigartig war, weder vorher noch nachher fand es noch einmal statt, ein Original schloss ein weiteres aus. Das war für Kirsten eine simple, wenn auch sehr traurige und fatale Erkenntnis. Seine Nähe, das war ein Gut, mit dem er nicht gerade verschwenderisch umging, seine wenigen Besuche waren ihr alles; sie klebte an seinen Lippen, sie konnte nicht von ihm lassen, weder geistig noch körperlich, manchmal musste er sich mit fast physischer Kraft aus ihrer Umklammerung befreien. Sie verfügte über genügend Reflexion, um zu wissen, dass ihr Klammern ihn nur noch weiter forttreiben würde, kein Mann konnte so etwas auf Dauer ertragen. So kam es auch, dass Bastiens Besuche noch spärlicher ausfielen, bis sie sich
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