Geh auf Magenta - Roman
Entleerens.
Dieses Ding Liebe war wie ein Organ, man trug es schlafend mit sich herum, ab und an wachte es auf und kam zur Anwendung. Hauptsache lieben – wen, das konnte man getrost als zweitrangig begreifen. Liebte man jemanden, oder liebte man die Liebe, war also diese Liebe im Grunde nichts anderes als ein rein egozentrischer Zustand, der rein der eigenen Erhöhung diente? Oder nur ein zu billigender Zugriff auf das Wesen eines anderen Menschen, den man damit zur Verlängerung des eigenen Selbst machte?
Alles eine Frage der Macht. Zu lieben, das hieß nichts anderes, als einem anderen Menschen diese Macht über einen zu verleihen, ihn damit zum Meister des Schmerzes zu machen. Und das, obwohl diese Liebe niemals sinnvoll ausfiel, sie kam dort vor, wo nichts passte, nichts sinnvoll war, nichts von langer Dauer war, sie kam einfach nur vor . So wie die dauerhafte freie Wahl den modernen Menschen ausmachte, ging es doch nicht darum, die Liebe zwischenmenschlich zu entwickeln, man fand sie inflationär vor und hatte immer die freie Wahl, etwas an einem Menschenstück bot sich in den Kontaktlisten der Handys immer an, es war nur die Frage, ob man es auch ernsthaft (und wie lange) haben wollte. Alles schien überall jederzeit möglich, ebenso reichhaltig fiel das Angebot aus, an Begegnungsstätten und Gelegenheiten mangelte es nicht, und moralische Hürden waren in der Vorzeit erfolgreich ausgemerzt worden; das Soziotop westliche Großstadt bot jede erdenkliche Kurzweil, alles hatte jederzeit vom Typ her passgenau zu sein, man arrangierte sich in Sachen Liebe nicht gerne oder gar nicht, war das Ich doch bereits schon vorher zu einer absolut innermedialen Heiligkeit avanciert, das man durch den jeweils anderen erfüllt und beklatscht sehen wollte. Wer eine solche Wahl hatte, für den gab es keine Qual, eher nur die Genugtuung seiner selbst. Was vermisste man, was galt es noch zu finden, wenn man doch alles besaß? – Wohlstand, Sicherheit an allen Ecken, fern aller Kriege dieser Welt, Freiheit, so viel man davon wollte, ein immer länger werdendes Leben in immer schöneren Körpern, gerne im neurotischen Zustand und als bekennendes Ego-Schwein. Wo also lag das Problem, wenn es überhaupt eines gab?
Schau nach rechts.
Vielleicht, eines Tages, in der Leere, die die Wählbarkeit hinterlassen würde. Weil erst die Zeit einen wirklich lieben ließ. Und mit einem Menschen braucht man diese Zeit.
Schau nach links.
Vielleicht eine gute Idee für eine sich anbahnende Marktlücke, die Soul Pharmacy , in der es alles geben konnte, was der aufgeriebene Städter so brauchte; das Dragee zum Verlieben, die Lutschpastille zum Entlieben, ein Es-wird-besser-Pflaster, der klassische Glücks-Drops und, für schwere Fälle, die tragbare Happy-Infusion mit Tropf und Reservekanister; so ausgerüstet dürfte es keine natürlichen Feinde mehr geben.
Schau nach rechts.
Aber jetzt war er hier. Im Theater. Mit Kirsten. Er grinste in den Spiegel und tippte sich an die Zähne. Du Tier.
Links, rechts. Gut.
Die Garderobenfrau sah ihn verständnisvoll an, als er an ihr vorbeiging, was ihn zu einem weiteren Grinsen verleitete.
»Irgendwie künstlich, nicht?«, sagte sie mit einem Blick auf den Theaterraum, was Bastien bestätigte, klar, das Stück sei der reinste Terror; vorsichtig öffnete er dann wieder die Tür, trat ins Dunkel und setzte sich neben Kirsten. Sie blickte ihn fragend an, was er mit einem Sorry und einem Fingerzeig auf seinen Magen beantwortete. Sie fragte, ob sie dann nicht besser gehen sollten, was er mit einem Kopfschütteln verneinte; die letzte Szene schien ohnehin dem Ende nahe, der Protagonist des Regisseurs erklärte der schweigenden Darstellerin gerade, wie sie ihren Liebsten aus Guantanamo raushauen solle, bewaffnet mit einer hochkalibrigen Uzi und im modischen Feldjäger-Look gekleidet; die Worte Zack! und Bäng! wiederholten sich im Staccato, der Schauspieler lief zu artistischer Hochform auf und bedeckte die Bühne mit Sprüngen und weiteren Flugrollen, nach einigen letzten Sätzen verdunkelte sich die Bühne. Der Applaus fiel etwas spärlich aus, der Weg war somit frei für den zweiten Teil des Abends. Kirsten bedauerte dann, dass er das meiste gar nicht gesehen hätte, im Mittelteil wäre es schon ganz gut gewesen, auch lustig, besonders, als bin Laden dazugekommen sei und den beiden die Erlaubnis zum gemeinsamen Selbstmord gegeben hätte, schon skurril-überzogen, eine echte Verarschung der
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