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Geh auf Magenta - Roman

Geh auf Magenta - Roman

Titel: Geh auf Magenta - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frankfurter Verlags-Anstalt
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sich in Sicherheit und inzwischen sogar geborgen.
    Er stellte den Computer an und sah nicht ohne Aufregung, dass Schwester ihm geschrieben hatte: Ist es ehrenwert, von einem Insekt abzustammen? Oder doch besser von einem Reptil?
    Die Frage war eine echte Herausforderung. Er goss sich ein weiteres Glas Wein ein und schrieb: Ich für meinen Teil fühle mich dem Lurch verwandter als der Heuschrecke, ist er doch individueller. Das soll aber nichts heißen, manche Leute gehen in der Masse erst auf; ist ja auch gut so, das, was der eine nicht denkt, kann eben der andere. Oder?
    Die Antwort kam kurz darauf: Zusammen denken?
    – Alles zusammen machen.
    Eine kurze Zeit verstrich. Dann schrieb sie: Wollen wir zusammen springen?
    – Wohin?
    – Runterspringen. Einfach weg sein.
    – Wo runter?
    – Von einem Berg. Wir sind vorher da hochgegangen und springen jetzt runter. Tausend Meter. Ins Meer.
    Er schrieb: OK, du willst dich also nicht alleine abknipsen?
    – Du doch auch nicht. Hast du doch geschrieben.
    – Stimmt. Ich war aber besoffen. Du jetzt auch?
    – Nein.
    Er musste einen Moment lang überlegen, dieses Einfach weg sein klang nicht nur nach Spaß. Er schrieb: Und warum? Probleme?
    – Wer hat die nicht?
    – Das ist keine Antwort.
    Wieder verging eine Zeit, bevor sie schrieb: Du willst also nicht springen?
    – Nein , antwortete er und schrieb: Wir können uns doch mal treffen und darüber reden, oder?
    – Nerv jetzt nicht mit so einem Therapiegequatsche.
    Er schrieb: Ich bin fett, habe eine Nickelbrille, einen roten Kopf, rieche nach Currywurst mit Pommes, in meinem Zimmer, aus dem ich nie herausgehe, liegt ein Meter verklebter Staub und ich dusche aus Prinzip nicht.
    Die Antwort kam prompt: Und ich bin magersüchtig, seit der letzten Chemo fehlen mir die Haare, ich rauche fünfzig am Tag und aus meinem Zimmer gehe ich auch nie raus. Auch aus Prinzip.
    – Ich wohne in Berlin , schrieb er.
    – Ich auch.
    – Also treffen wir uns?
    – Nein.
    – Was ist das für ein Berg?
    – Irgendeiner. Am Meer.
    – Südsee?
    – Kann sein. Warum?
    – Na ja, man müsste ja erst dorthin fliegen. Bis dahin könnte man sich immer noch überlegen, ob man’s macht oder nicht, Berlin–Frankfurt–Singapur–Sydney–Tahiti, das dauert.
    – Man kann auch hier einen nehmen. Dann geht’s fix.
    – Hier gibt’s die nicht. Und ein Meer auch nicht.
    – Dann eben ein Hochhaus. Oder eine Kirche.
    Er überlegte wieder. Wenn er morgen in der Zeitung lesen würde, dass sich eine junge Frau von einem Kirchturm gestürzt hätte, wäre es mit seiner Seelenruhe für die nächsten hundert Jahre vorbei. Er schrieb: Das machst du nicht, einfach, weil’s ziemlich blöd ist. Wer so gut schreiben kann wie du, springt nicht irgendwo runter, der hat Besseres zu tun. OK.?
    Wieder eine längere Pause. Sie schrieb: Findest du wirklich, dass ich schreiben kann?
    – Absolut.
    – Oder sagst du das jetzt nur aus Höflichkeit und so ’n Quatsch?
    – Nein. Du kannst schreiben. Ob’s dir gefällt oder nicht.
    – Danke , schrieb sie nach einem Moment.
    – Willst du mir nicht sagen, was eigentlich los ist? Wäre nicht so schlimm, oder?
    – Doch. Du würdest es sowieso nicht verstehen.
    – Aber deinen Berg verstehe ich doch. Ich hab auch einen.
    – Wo?
    – Südsee.
    – Dann viel Spaß da. Ich höre jetzt auf.
    Er blickte lange auf den Bildschirm und stellte sich ihr Gesicht vor, ihre Figur, ihr Zimmer. Bestimmt war sie ein zierlicher Typ, sehr scheu und melancholisch. Bestimmt war sie – toll.
    Ein weiterer Satz erschien: Doch. Wir können uns mal treffen.
    In diesem Moment spürte er etwas, von dem er glaubte, dass es verlorengegangen sei: eine wunderbare Aufregung, eine Zärtlichkeit, er fühlte – Glück.
    Er tippte ein Freue mich in die Tastatur, lehnte sich zurück und versuchte, diesen wunderbaren Zustand zu halten, einzufangen, ihn möglichst bis zur letzten Sekunde auszukosten. Aber die erste Skepsis setzte ein paar Minuten später ein: war sein Freue mich authentisch, vom Herzen kommend?
    Nicht ohne Misstrauen unterzog er sich einer kurzen Selbstprüfung. Freute er sich wirklich, oder wollte er sich nur freuen?
    Doch.
    Er freute sich wirklich ein bisschen.
    Mila strahlte ihn an, sie hätte wunderbar geschlafen, an seiner Seite fühle man sich so – sicher. Sie möchte ihm nur dafür danken. Er strich ihr kurz durch das Haar, das sei ja wohl eine Selbstverständlichkeit; er sah ihr zierliches Gesicht vor seinem und war

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