Geh auf Magenta - Roman
diese Gänsehaut, überall, das sei wirklich einzigartig. Sosehr er sich nun auch wehrte, er musste sich eingestehen, dass er dieser Kraft nichts entgegenzusetzen hatte; so fuhr er auch an den nächsten freien Abenden zu ihr und stellte sein schlechtes Gewissen auf Leerlauf. Zweimal, dreimal, viermal. Und immer diese Gänsehaut.
Später schien Bastiens Interesse an den Kunstaktivitäten in Ahrensfelde nachzulassen, so dass er beständiger zu Hause war, woraufhin dann Mel die Initiative ergriff und zu Rob kam. Vielleicht lag es an der Unmenge von Bastiens Bildern in seiner Wohnung, dass es bei diesem einen Besuch blieb; er konnte sich noch erinnern, wie sie lange vor den Gemälden stand. An diesem Abend sprachen sie auch nur, darüber, dass er es niemals erfahren dürfe. Und dass es jetzt ein Ende haben müsse.
Rob lehnte sich zurück, seine Hose knarrte leise. Jetzt aber war die Situation eine andere, Mel und Bastien waren kein Paar mehr, ob sie aus Rücksicht auf seine Freundschaft zu ihm auch weiterhin schweigen würde, war vollkommen ungewiss. Während einer der jetzt zu erwartenden Streits mit Bastien könnte sie die Nerven verlieren und es ihm an den Kopf werfen, wie man so sagte, wohl wissend, wie weh ihm das tun würde. Und dann stünde er, Rob, in einer Reihe mit diesem Thomas, nicht besser und nicht schlechter, nur ein Freund der miesen Sorte. Ein ehemaliger Freund dann.
Er atmete tief aus. Wie würde sich das für Bastien anfühlen? Dass ein Freund wusste, wie sich die eigene Freundin anfühlte, welche Laute sie von sich gab, ihre intimen Bewegungen, wie unglaublich verletzend wäre das?
Er atmete wieder tief aus, das schlechte Gewissen stach tief; er durfte es einfach niemals erfahren, wirklich niemals. Und dafür gab es nur eine Garantie, Mel und Bastien mussten wieder zusammenkommen, koste es, was es wolle; und deshalb musste dieser Thomas aus dem Weg.
Rob dachte angestrengt nach. Die Frage war nur, wie das anzustellen war.
5
Bis zum Atelier waren es nur ein paar hundert Meter, und Bastien stapfte zügig durch den Schnee. Der Wind blies ihm frontal ins Gesicht, und einen Moment lang bereute er, Rob seinen Mantel gegeben zu haben. Aber dieser hatte ihn heute nötiger als er, seinem besten Freund gab man eben auch das letzte Hemd. Er hielt sich die Arme schützend um den Oberkörper und ging weiter, durch die Straßen fegten jetzt eisige Böen und wirbelten den Schnee hoch, eine apokalyptische Endzeitstimmung. Er blieb einen Moment lang in einem Hauseingang stehen, ging dann neugierig weiter in den geschützten Hinterhof. Irgendwo hier befand sich das Café, in das er und Thomas nach dessen Atelierbesuchen oft gegangen waren, meistens sehr redselig und in bester Laune. Für Thomas waren diese Atelierbesuche immer eine Abwechslung in seinem Geschäftsleben, für Bastien verhießen sie immer das dringend benötigte Kleingeld jenseits der schmalen Einkünfte aus seinen Galerien. Aber manchmal trieben diese Nachmittage auch Blüten der anderen Art, so Bastiens neues Faible für ökonomische Strukturen. Thomas zeigte allerdings ein ostentatives Desinteresse an seinen Fragen zu den Methoden der Marktforschung – nach welchen Kriterien die Probanden ausgesucht würden und wie die Verwertbarkeit ihrer Antworten in der Regel aussehe; es käme ja nur darauf an, auf was man dieses Prinzip anwenden würde, zum Beispiel auf die Kunst, das hätte noch keiner gemacht. Thomas sah ihn skeptisch an, Marketing und Kunst, das wäre schon irgendwie mies, die Kunst hätte so etwas ja wohl nicht nötig. Genau deshalb, entgegnete Bastien, man würde es eben mies finden, wenn die Kunst sich solcher Dinge bedienen würde, und genau darin läge die Neuerung. Man müsse sich nur vorstellen, dass man diese Probanden nach ihren Lieblingsfarben, ihren Lieblingsmotiven und stilistischen Vorlieben befragen würde, am Ende hätte man doch die Angaben für das erfolgreiche Bild schlechthin. Das könne man dann malen und ausstellen, eine echte Provokation. Es würde eben diesen dummen Glauben torpedieren, dass Kunst stets vom Genie des Künstlers abhängig sei. Er ließ eine dramatische Pause verstreichen, bevor er fortfuhr: »Die Kunst versteht sich doch als bedeutungsgenerierend; sie findet also nicht über eine besondere physische Wertschätzung, zum Beispiel von besonderer Materialität, statt, sondern eher über Definition; welcher Gegenstand Kunst sein kann, was wir generell als Kunst begreifen und akzeptieren, hängt mit einer
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