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Geh aus, mein Herz

Geh aus, mein Herz

Titel: Geh aus, mein Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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eingewickelt?«
    »Genau.«
    »Solche hatten wir beim Militär.«
    »Wer hatte die nicht?«
    »Dadurch wird es auch nicht leichter.«
    Boursé kommentierte Ards Meinung nicht, sie wussten beide um die ungeheure Schwierigkeit der Arbeit, die vor ihnen lag, die tausend mühevollen Details der Ermittlung.
    »Was glaubst du, ist das eine Mitteilung oder nicht?«
    Was sollte er glauben? In diesem Augenblick war das unwesentlich, doch er wusste, dass selbst der sichere Ove Boursé ein Mann mit Gefühlen war. Niemanden ließ die Konfrontation mit dem Tod unbeeindruckt, niemals und auch nicht jetzt und hier, wo der Toten alle Würde genommen worden war.
    »Wir können nur hoffen, dass es das richtige Wort in diesem Zusammenhang ist. Das werden wir später sehen. Hast du ihre Papiere?«
    »Ja.«
    »Das erspart uns ganze Tage.«
    »Oder Stunden.«
    Es war ein Anfang. Ihnen war die Identität der Frau bekannt, falls der Täter sie nicht absichtlich durch falsche Papiere in die Irre führen wollte.
    »Sie scheint es zu sein.« Ove Boursé hielt eine kleine schwarze Ermittlungsmappe aus Plastik in der rechten Hand.
    »Aber bei ihrem jetzigen Aussehen können wir das nicht genau feststellen.«
    Ard warf erneut einen Blick auf den Körper. Lieber Gott, ihr Gesicht. Er schaute auf die Mappe. Wenn es ihr Name war, den diese enthielt, dann konnten sie schneller anfangen. Aber die Situation beunruhigte ihn gleichzeitig: Mörder setzten gewöhnlich alles daran, um nicht entdeckt zu werden; sie entkleideten ihre Opfer, erkämpften sich mehr Zeit, wussten, dass ihnen das Verwischen von Spuren einen Aufschub verschaffte. Manche Mörder. Nicht alle … Die, die jemanden aus ihrer Familie umbrachten, taten es fast nie; aber solche, die leblose Körper in eine Schlucht warfen … Sie hatten ihre Gründe, warum sie nicht neben ihrem Opfer saßen und warteten. Sie wollten ihr Verbrechen so lange wie möglich vor der Welt geheim halten. Das bereitete Ard Sorgen, und richtige Angst machten ihm jene Mörder, die ihr Opfer nicht so beließen, wie es war; die groteske Botschaften hinterließen; die nach der Tat davongingen wie nach einem Essen oder einem Liebesakt. Die es wiederholen könnten. Dafür gab es hier Anzeichen, und als einer der Scheinwerfer scharf nach rechts schwenkte und das Licht sein Gesicht traf, fühlte sich Sten Ard plötzlich sehr elend.
     
    Jonathan Wide informierte sich über Ulla Torstensson. Obwohl ihm eine detaillierte Beschreibung von ihr vorlag, beschlich ihn allmählich die Frage, warum sie so wenig enthielt. Ihr Mann, Anders, hatte ein Bild von ihr und ihrem gemeinsamen Leben entworfen, das leer wirkte, irgendwie ohne Substanz. In seinen Schilderungen gestern war etwas Ausweichendes gewesen. Man musste kein Genie sein, um das zu konstatieren.
    Wonach suchte Wide? Nach einer Persönlichkeit? Vielleicht. Oder nach einer Stimme, die er nicht hören konnte. In seinem früheren Leben bei der Verbrechensfahndung der Kripo hatte er so etwas zu erahnen versucht; darin war er gut gewesen. Er hatte sich den Sinnen der Menschen genähert, die gesucht wurden. Das hatte ihn fast aufgesogen.
    Es überraschte ihn, dass sie aus derselben kleinen Stadt in Småland stammte, in der auch er aufgewachsen war. Sie war drei Jahre jünger als er. Er war als Fünfzehnjähriger von dort fortgezogen. Aber trotzdem … Die Stadt war nicht besonders groß. Lange betrachtete er das Gesicht, aber es sagte ihm nichts. Nach einer Weile wurden die Linien um den Mund der Frau schärfer, die Unruhe in ihren Augen tiefer. Er legte das Bild weg und erhob sich, ging zum Fenster und schaute auf die Häuser gegenüber, sah, wie der Regen gegen die Wände schlug; er kam in Böen, manchmal horizontal. Jemand hatte einen Kinderwagen draußen vergessen; er sah, wie die weißblauen kleinen Decken immer tiefer gegen das Sitzkissen gedrückt wurden. Ein Fenster stand offen; er sah, wie sich die kurze weiße Gardine bewegte. Auf der Straße waren keine Menschen unterwegs. Ein Auto fuhr in nördlicher Richtung, die Scheibenwischer glitten rhythmisch über die Windschutzscheibe. Wide musste die Augen zusammenkneifen, um die Wischer zu erkennen; die Dämmerung senkte sich rasch über die Stadt.
    Er war müde. Wieder dachte er an das Gesicht der Frau. Als er sich umwandte, konnte er das Foto von seinem Platz aus sehen. Und wieder musste er an das Gesicht denken, das er im Botanischen Garten gesehen hatte. Die Züge der Frau schienen mit denen des Mannes, dem er begegnet

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