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Geh aus, mein Herz

Geh aus, mein Herz

Titel: Geh aus, mein Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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nicht etwa so, dass wir überhaupt nicht harmonierten.«
    »Erzählen Sie noch einmal. Wie war er, wenn er wieder nach Hause kam?«
    »Wie ich schon sagte, es ging ihm dann besser, er war irgendwie ruhiger.«
    »Glauben Sie, dass er allein unterwegs war?«
    »Ich weiß es nicht, aber ich glaube es. Jedenfalls war da keine andere Frau. Vielleicht ist das Wunschdenken. Nein. Keine Frau.«
    »Und auch kein Mann?«
    Sie schaute hastig auf, und Ard wurde klar, dass er ins Schwarze getroffen hatte. Sie wollte etwas sagen, behielt es aber für sich. Ard versuchte es auf dem Umweg:
    »Vielleicht ein Kumpel, ein alter Freund. Eine Angeltour, eine Fahrt mit dem Paddelboot in Gråbo.«
    »Im November?«
    »Warum nicht?«
    »Er hat mir nie etwas von alten Freunden erzählt«, sagte sie.
    »Und von neuen Freunden?«
    »Auch nicht.«
    »Von gemeinsamen Freunden?«
    Er hörte draußen wieder die Kinder; sie gingen jetzt in der anderen Richtung vorüber, diesmal war auch das Kläffen eines Hundes dabei.
    »Rickard hatte keine Freunde.«
    Ard wartete, schwieg, nahm einen Schluck vom Kaffee, der kalt geworden war.
    »Er hat mir jedenfalls nie einen Freund vorgestellt.«
    »Arbeitskollegen?«
    »Nein.«
    »Familie?«
    »Er stammte aus einer kleinen Stadt in Småland, das weiß die Polizei ja schon. Dort sind wir nie gewesen. Er wollte nie dahin. ›Dort gibt es nichts‹, hat er gesagt, und ich, tja, es hat mich wohl auch nicht so interessiert, zumindest hab ich nicht darauf bestanden.«
    Ard spürte, dass sein Nacken steif wurde. Er versuchte seine Stimme weich klingen zu lassen.
    »Und Sie?«
    »Wie bitte?«
    »Und Sie – waren Sie sein Freund?«
     
    Sten Ard stand neben dem Auto. Am südwestlichen Ende der Lyckogatan begann die Natur mit dem Västerberget, Trindemossen und Nedre Torbjörnsmossen, wo Rickard Melinder von zwei Jugendlichen entdeckt worden war. Die Vogelfluglinie konnte von hier aus nicht weit sein, aber Vogelfluglinien sind selten weit, und Ard war klar, dass er den ganzen langen Weg von der Stelle, wo er stand, bis hinunter auf den Grund des Toltorpsdalen durch Mölndals Dschungel bis zum Fundort absuchen musste. Was für ein Fund, zum Weinen, und danach war ihm wirklich zumute. Er schaute nach oben, der Himmel weinte. The sky is crying, dachte er, Elmore James, dachte er, und wenn er jemals nach Hause käme am Ende dieses Tages, dann würde er Got to move auflegen. Elmore James, am 24. Mai 1963 einem Herzinfarkt erlegen, in Chicago, Illinois, im reifen Alter von fünfundvierzig Jahren. Das war alt, wenn man die Umstände bedachte, und er schämte sich fast, dass er älter geworden war als Elmore James.
    Jetzt sah er die Kinder, drei, um die zehn Jahre, die sich mit einem kleinen schmutzig grauen Hund am Rand des Dschungels aufhielten. Der Hund tobte ausgelassen zwischen ihnen hin und her. Mit zehn hatte er sich einen Hund gewünscht, aber ein Hund war in seiner ganzen Kindheit unmöglich gewesen, und er hatte sich geschworen, einen Hund zu haben, wenn er erwachsen war. Jetzt war er einszweiundneunzig groß und fast fünfzig, aber wo zum Teufel war der Hund?
     
    Sten Ard fuhr die Toltorpsgatan nach links zurück zum Sahlgrenska-Krankenhaus, die Per Dubbsgatan hinunter. In der großen Kurve zur Dag-Hammarskjölds-Umgehung fiel es ihm schwer, den Nacken zu recken; es tat weh, als er den Kopf nach links drehte, um sich in den Verkehr einzufädeln, der hier nach der Kriecherei über den Linnéplatsen so richtig in Fahrt kam. Ard hielt sich in der rechten Spur, bog nach einem Kilometer bei Margretebergsmotet ab und fuhr am Slottsskogsvallen vorbei. Noch sieben Monate, und in diesem Gebiet würde es von Zehntausenden von Menschen wimmeln, die sich am größten Stadtlauf der Welt beteiligten. Ard sah sich selbst den Schotterweg unterhalb des Walls angeschwankt kommen, Blut zwischen den Zähnen; als ihm das vor sechs Jahren passiert war, hatte er auf den Lauf verzichtet. Es gab andere. Kajsa zum Beispiel, die war jung und verdiente es, bei vollem Bewusstsein durchs Ziel zu gehen, und wenn diese verdammte Genickstarre im Mai vorbei war, würde er oben auf der Älvborgsbrücke stehen und Kajsa anfeuern.
    Er parkte auf der Såggatan, sah Wides Auto auf der anderen Straßenseite, stieg aus, schloss ab, schlug den Kragen hoch und ging hastig auf die zehn Meter entfernte Haustür zu. Im Treppenhaus roch es nach Feuchtigkeit, neben einer Tür im zweiten Stock stand ein Kinderfahrrad. Im dritten Stock klingelte er, wartete,

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