Geh aus, mein Herz
ging zum Herd und schaltete die Platte an, auf die Ard den Topf mit Wasser gestellt hatte.
»Wenn ich jetzt anfange nachzudenken … Da ist etwas, was mir gerade nicht einfällt, aber es ist da. Irgendwas ist passiert. Irgendwas, ich glaube, darüber hat es Gerede gegeben. Oder es war an einem anderen Ort. Ich weiß nicht mehr.«
Jonathan Wide kehrte mit frischem Tee zurück, setzte die Tassen ab und öffnete dann das Fenster einen Spaltbreit.
»An die andere, die Frau kann ich mich nicht erinnern.«
»Sie ist wahrscheinlich auch dabei.«
Sten Ard zeigte auf die Seiten, die vor ihm auf dem Küchentisch ausgebreitet lagen.
»Nein, das ist sie nicht, sie ist auf keine der beiden Schulen gegangen.«
»Das ist doch unmöglich.«
»Es gibt noch eine Schule in der kleinen Stadt. Vielleicht war sie auf der. Oder es stimmt nicht, dass sie in der Stadt aufgewachsen ist.«
»Selbstverständlich stimmt das.«
»Ich kann mich jedenfalls nicht an sie erinnern.«
»Es gab also noch eine Schule.«
»Ja, Västra heißt die, glaube ich, aber das müsst ihr überprüfen.«
»Wir sind natürlich längst dabei.«
»Natürlich. Aber ich frage mich, ob es sie überhaupt noch gibt. Ich glaube es nicht.«
Ard erhob sich, selbst der Tee brannte in seinem Magen. Sollte er mit fünfzig Magengeschwüre bekommen, zum ersten Mal? War es noch ein Zeichen der Zeit? Wide folgte ihm in den Flur.
»Leuten, die aus unserer kleinen Stadt kommen, passiert so einiges. Schulen verschwinden, Menschen sterben mit großem Aufsehen.«
»Darauf kann man ja nicht gerade neidisch sein.«
»Nein. Aber das mit Torstensson und Melinder ist wahrscheinlich ein Zufall. Dass sie aus Sävsjö stammen. Wahrscheinlich, aber es muss nicht so sein. Ihr werdet es herausbekommen.«
»Der andere Zusammenhang ist kein Zufall.«
»Nein, wirklich nicht.«
»Vielleicht komme ich wieder. Vielleicht möchte ich, dass du dir die Bilder anschaust.«
»Nee, vielen Dank.«
»Das ist ein Fall für Jonathan Wide. Komm zurück.«
»Zu den Bullen? Du wärst pensioniert, bevor mich die Bürokraten wieder reinlassen.«
»Ich denke nicht an mich selber.«
»Ha, ha.«
»Es gibt schnelle Wege.«
»Nein. Ich hab andere Pläne.«
»Du hasst deinen Job. Du bist bei Gott kein Privatdetektiv.«
»Ich hab doch gesagt, andere Pläne. Sicherheit. Sicherheitsberater in einem großen Warenhaus.«
»Sicherheitsberater!«
Wide hörte den Zweifel in Ards Stimme, sah die Skepsis, die sich wie ein Damenstrumpf über das Gesicht des Kommissars zog. Ard gefiel das Wort nicht. Er hielt das nur für einen Witz.
»Du musst sehr verzweifelt sein, Jonathan. Das ist nichts für dich.« Ard, schon dabei, die Wohnung zu verlassen, hielt mitten in der Bewegung inne und legte Wide eine Hand auf die Schulter. »Wenn du Geld brauchst, sag es mir. Ich kann dir was leihen, du brauchst dich nicht zu genieren.«
»Beleidige mich nicht.«
»Das kannst du ganz gut allein. Sicherheitsberater!«
»Ich versteh nicht, warum du dich so darüber aufregst.«
»Deine Intelligenz, das, was noch davon übrig ist, wird andernorts gebraucht.«
Wide hielt ihm die Tür auf, spürte die Kühle, die von der Haustür hier heraufgezogen war.
»Was verlangst du? Ich hab doch gesagt, ich werde über diesen Fall nachdenken.«
Ard ging, Wide blieb an der offenen Tür stehen, bis er die Haustür unten zuschlagen hörte.
8
Diesmal war sie nah herangekommen. Sie war am Lebensmittelladen des Viertels vorbeigegangen, hatte erwogen, hineinzugehen und sich eine Frauenzeitschrift zu kaufen, um eine Weile vor der Wirklichkeit zu fliehen. Kaum drei Minuten später hatten drei Männer mit schwarzen Masken den langen, schmalen Laden betreten, und einer von ihnen hatte ein Eisenrohr erhoben und Dinos Zavallis einen Mittelhandknochen zerschmettert.
Nur das. Ein Schlag auf die Hand und auf dem Weg hinaus mit einer einzigen Armbewegung das Schokoladenregal umgefegt; Schokolade auf dem Fußboden, ein Dreierpack für einen Zehner. Kajsa Lagergren ging vorsichtig zwischen den verstreuten Packungen umher, während die Männer der Spurensicherung sich mit dem umgeworfenen Gestell beschäftigten. Dass wir das aushalten, dachte sie. Auf dem Weg hierher, genau unter dem Ladenschild, hatte ein Mann ihr mit erhobenem Daumen ein Zeichen gegeben. Es war kaum zu glauben: Immer mehr Mitbürger zeigten offen ihre Unterstützung des immer härteren Vorgehens der Behörden gegen Menschen nichtschwedischer Herkunft. Eine Wechselwirkung war
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