Geh aus, mein Herz
ein Muster, die Daten stimmten überein. Jemand breitete Decken über lebendige, aber heruntergekommene Körper, während gleichzeitig jemand über tote und grausam zugerichtete Körper Decken breitete. Was zum Teufel hatte das zu bedeuten?
Mussten sie diesen Punkt überhaupt beachten? Fingen sie an, zu viele Zusammenhänge in diesem Fall zu sehen?
Aber etwas war da. Es war seltsam. Sie mussten mit dem vorlieb nehmen, was sie hatten; dieser Janne-Janne, wie er genannt wurde, könnte nützlich sein. Wenigstens von dem barmherzigen Samariter könnten sie ein Bild oder eine ungefähre Beschreibung bekommen. Das war ein Anfang. Er befühlte die Strümpfe, immer noch feucht, er zog sie an, stieg mit einer Grimasse in die Schuhe und ging durch den Korridor, der von seinen Schritten widerhallte.
12
Kajsa Lagergren überquerte den Fattighusån, der Odinsplatsen lag in ihrem Rücken. Ein überfallener Laden, die Einrichtung in Trümmern. Kein Stein wäre auf dem anderen geblieben, wenn es Steine gegeben hätte. Odinsplatsen. Heute ein passender Name für Gewalt gegen Abweichende, gegen die Nicht-Blonden.
Die Arroganz war das Schlimmste. Tageslicht, Abend oder Morgen, das spielte keine Rolle – die Kerle gingen einfach rein mit ihren schwarzen Masken. Keine Zeugen, niemals Zeugen. Nur Trümmer, dachte sie, wie der da oben, dachte sie und schaute zum zerrissenen Himmel hinauf. Rußige Wolken wie Brocken von Koks auf einer novembergrauen Fläche. Unter einem solchen Himmel arbeiten zu müssen. In einer Stunde würde es dunkel sein. Dann brauchte sie ihn wenigstens nicht mehr zu sehen.
Im Zimmer hängte sie die Jacke an einen Haken an der Innenseite der Tür und fasste einen Entschluss, holte den Stadtplan von Göteborg und pinnte ihn an die Wand. Das hätte sie schon eher machen sollen, aber sie hatte versucht, die Bilder direkt am Tatort einzufangen, war durch die Stadt gefahren und hatte sich Zeit für die Opfer genommen. Es gab ja auch noch etwas anderes. Sie dachte an die Fotos, die Sten gezeigt hatte: Wie lange noch musste sie ihre Zeit für diese Überfälle einsetzen, diese Fälle ? Sie wartete nur darauf, dass Sten sie anweisen würde, damit aufzuhören. Vielleicht würde sie erleichtert sein, in eine andere Unmöglichkeit fliehen zu können. Nein, das war negatives Denken, in eine andere Problemlösung zu fliehen. Sie ließ ihren Blick nordöstlich vom Stadtzentrum aus über die Karte gleiten und steckte die erste Nadel mit einem großen roten Kopf hinein, mitten in den Rymdtorget. Weiter nördlich war kein zugewanderter Laden- oder Lokalbesitzer überfallen worden, noch nicht.
Die Karte an der Wand gab nach, sank zur Mitte hin ein, und sie pinnte sie mit mehr Nadeln an der Tapete fest. Dann nahm sie eine weitere rote Stecknadel, sah ihre Notizen durch und steckte sie etwas weiter links in Richtung Kortedala.
Sie arbeitete sich weiter nach Westen, Süden, wieder nach Osten, vor nach Süden und zurück, bis eine kleine Linie entstanden war. Sie überquerte den Fluss mit den Nadeln und dachte an den Göteborg-Lauf und an die tausend Nadeln, die sich genau auf der Götaälvbrücke aus den Schuhen in die Fersen hineinzubohren pflegten. Aber hauptsächlich dachte sie an den schwarzhäutigen Roosevelt Tanai und seinen Laden nahe beim Backaplan, an dem sie auf ihrer bizarren Reise über den Stadtplan, der so ruhig und friedvoll wirkte, gerade vorbeigekommen war. Das war also Göteborg: Noch nie hatte sie sich so intensiv mit der Karte auseinander gesetzt, nicht einmal in der Zeit ihres Einlebens hier, gleich nach Abschluss der Polizeihochschule. Sie stammte aus Göteborg, aber die Polizei besaß andere Stadtpläne; sie hatte sie sich eingeprägt, mehr aus Pflichtgefühl, denn wenn sie dem Verbrechen begegnete, geschah das nicht auf dem Papier.
Jetzt war es eine andere Art Reise, wie eine Ballonreise mit dem Blick auf bestimmte Ziele unten. Sie überlegte, ob die Täter genauso vorgegangen waren wie sie, ihre Ziele auf dieselbe Art markiert hatten. In dieser Stunde, während zwei entsetzlicher Sekunden, sollte sie begreifen, dass sie tatsächlich so vorgegangen waren.
Fünfundvierzig Minuten später trat Kajsa Lagergren drei Schritte zurück, betrachtete das rote Muster, das ihre Nadeln auf der Karte hatten entstehen lassen, schloss die Augen, schüttelte den Kopf, öffnete die Augen. Das Muster war noch da. Es kann nicht wahr sein, nicht wahr sein, dachte sie. In ihrem Kopf tobte plötzlich eine seltene Migräne,
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