Geh aus, mein Herz
losgelassen, nämlich hier.«
»Ja, da ist etwas, was wir sehen müssten. Es ist die ganze Zeit da, vor unseren Augen, von dem wir ausgehen könnten und das uns direkt zu einem Resultat führen würde.«
»Ist das mehr als eine Ahnung?«
»Ich glaube ja. Und jetzt bist du dran. Ich glaube, du empfindest das Gleiche.«
Jonathan Wide antwortete nicht. Sten Ard hatte Recht.
Nachdem das Spiel zehn Minuten gelaufen war, wusste Wide, dass er nie mehr zu einem Fußballspiel gehen würde. Als der schwarze Asprilla von Newcastle United das erste Mal den Ball unter seine Kontrolle bekam, ertönten die dunklen Rufe von der Galerie über ihnen, von den Seiten, uh, uh, uh, uh, uh, uh, er sah Ard an und sah sich um und begriff es zunächst nicht. Beim zweiten Mal, als Asprilla den Ball erkämpft hatte, hörte man es erneut, uh, uh, uh, uh, uh, uh. Das also war die Vorstellung der Masse von den Lauten im Dschungel. Die kräftigen Töne bewegten sich von Westen nach Osten durch die Arena, hin und her. Schließlich hoben sie ab, plump wie ein Geier etwa, und schwankten hinüber zur westlichen Galerie und waren verschwunden und mussten auf der anderen Seite gelandet sein, vielleicht auf dem Dach des Polizeipräsidiums auf der gegenüberliegenden Seite der Skånegatan. Sten sah gequält aus, als ob er die Verantwortung dafür trüge, was ja gewissermaßen auch der Fall war, da er Wide zu diesem Sportfest geschleppt hatte.
Asprilla kam wieder an den Ball, uh, uh, uh, uh, uh. Die Leute um sie herum waren keine normalen manisch-depressiven Fußballfans.
Jedes Mal wenn die Männer dem schwarzen Mann dort unten auf der leuchtenden Bühne ein Stück Hass entgegengeschleudert hatten, sangen sie den ersten Vers der Nationalhymne. Wide spürte, dass sein Rücken immer eisiger wurde, und sehnte sich nach der Jacke, die er vergessen hatte. Dies ist die Wirklichkeit und es ist jetzt, und der Chor schwoll an, als Asprilla wieder den Ball hatte, uh, uh, uh, uh, uh.
Als Wide sich nach links drehte und schräg nach oben schaute, hörte und merkte er, dass sich die Rufe vom tausendköpfigen harten Kern in der Mitte ausbreiteten; die, die mehr am Rand standen, hatten zunächst nicht geschrien, aber jetzt schrien sie, immer mehr schrien, immer mehr Münder bewegten sich, und schließlich kamen die Laute über Lippen und Kinne wie ein Schwall Kotze, der nicht mehr aufzuhalten war.
Es war, als glitte ein brauner Schatten über die Tribüne, der ein Gesicht nach dem anderen färbte. Ein Gesicht nicht weit von Wide entfernt wurde braun und verzerrte sich, während es gleichzeitig weiß wurde. » Der Neger, der Neger « , und plötzlich kam ein anderes Signal aus der Mitte, die Nationalhymne …
»Wir gehen«, sagte Sten Ard und erhob sich.
Wide stand auch auf, mitten in der Nationalhymne, und auf dem Weg hinaus rammte er einem Sänger den Ellenbogen ins Zwerchfell. Er hörte, dass dem Mann die Stimme wegblieb. Niemand schien es bemerkt zu haben.
»Das war ja nun wirklich nicht nötig«, sagte Ard, als sie draußen waren.
»Nein.«
»Auch wenn man nichts lieber täte, als dem ganzen Gesocks eins aufs Maul zu geben.«
»Ja.«
Sie hörten das kollektive Massengeheul, unmittelbar und total, wie es nur 45000 Stimmen auf einer begrenzten Fläche zustande bringen können. Berlin, München, Rom, Madrid, Moskau und jetzt Göteborg, dachte Wide und sah sich um, hinauf zu dem Licht, das von dem Theater da drinnen herüberflutete.
»Eins zu null.«
Ard zuckte mit den Schultern, ließ ein Auto passieren, im Scheinwerferlicht war der Regen wie durchsichtiges Schilf.
»Also, im Augenblick scheiß ich auf das Spiel.«
Sie standen auf dem Dienstparkplatz zwischen Ullevi und Ards Arbeitsstelle, die Laute vom Stadion waren jetzt unbestimmter und dünner.
»Ich muss noch ein Stück gehen, nach Hause.«
»Möchtest du nicht was essen?«
»Nein.«
»Schade.«
»Ja.«
Ard strich sich über die nasse Glatze, die Wassertropfen flossen in einem Rinnsal von seiner Stirn an der Nase entlang und tropften herunter.
»Du weinst doch hoffentlich nicht, Sten?«
»Ha!«
»Ich meine, weil du nicht das ganze Spiel gesehen hast.«
»Ha. In Zukunft nur noch im Fernsehen. Ohne Ton. Die einzige Möglichkeit, das Problem auszusperren, es sich vom Leib zu halten.«
»Wir haben nichts gesehen, gehört oder gesagt.«
»Nein. Das ist die einzige Möglichkeit.«
Schweigend standen sie da, lauschten auf nichts.
»Und dabei macht Fußball doch solchen
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