Geh aus, mein Herz
Sache, ich weiß es nicht, aber solch eine erfreuliche Nachricht würde er seinem Auftraggeber nicht bringen, schon gar nicht, nachdem er die Möglichkeit gehabt hatte, das Gästebuch im Hotel Rolton zu studieren, das ein Stück von hier entfernt lag. Herr und Frau Liebesgeil mit nachlässig und atemlos hingeworfener Schrift im Gästebuch. Beweis genug, dass er dem Auftraggeber kein beruhigendes » Vielleicht ist es eine ganz unschuldige Sache, ich weiß es nicht « mitteilen konnte.
Jedenfalls hatte er genug gesehen. Für heute hängte er den schlaffen Rucksack, halb gefüllt mit stechenden Scherben, den er bei seinen Schmuddeljobs mit sich herumzuschleppen schien, über den schwarzen Stahlstuhl und verließ das Lokal. Langsam streckte er den Rücken, der immer stärker von der Last schmerzte, die er widerwillig auf sich genommen hatte.
Wide ging zurück zum Hotellplatsen, am Sheraton vorbei, überquerte die Brücke über den Kanal zwischen Trauben von abgestellten Fahrrädern, ließ die Straßenbahnlinie drei vorbei, ging quer über den Drottningtorget, umrundete die Post und näherte sich dem Gebäude der Göteborg Tidningen an der Einmündung der Odinsgatan. Neben ihm und vor dem Zeitungshaus brauste ein wahnsinniger Verkehr.
»Willkommen im Regierungsgebäude der dritten Staatsmacht«, wie Peter Sjögren gesagt hatte.
Jetzt saß er hier auf dem Sofa im Empfang, aber nicht lange, denn Sjögren kam mit offenen Armen durch die Glastüren auf ihn zu.
»Prima, komm, jetzt zeig ich dir unser Foyer.«
Sie betraten den hohen, hellen Innenhof.
»Bist du schon mal in Dallas gewesen, Wide?«
»Nein.«
»So sehen die Hotels von Dallas innen aus.«
»Solche Hotels pflege ich nicht zu benutzen«, sagte Wide und dachte ans Rolton.
Sjögren breitete die Arme aus. »Das hier nenne ich eine hübsche Staffage.«
»Nur eine Staffage?«
»Wie die Zeitung heutzutage, das passt doch gut.«
»Zeitungen sind also nichts weiter als hübsche Staffagen? Das klingt sehr defensiv, wenn es von einem Zeitungsmann kommt.«
»Unter uns gibt es immer weniger, die an den Inhalt denken. Man sagt, die achtziger Jahre waren das achte Jahrzehnt der Oberflächlichkeit, aber das hängt uns immer noch an.«
Peter Sjögren sah an diesem Nachmittag selbst wie eine Staffage aus, keine hübsche, so, als wären der vorhergehende Tag und Abend in die Nacht übergegangen und dann in einen neuen Tag, ohne dass der Mann es gemerkt hatte.
»Spät geworden gestern Abend?«
»Das kann man wohl sagen.«
»Du brennst an beiden Enden.«
»Einer muss es ja tun, wenn jemand wie du langsam abbaut.«
»Mhm.«
»Hast du schon mal was vom Präriewolftrick gehört?«
»Nee, was ist das?«
»Das ist so, wie wenn man sich in der Kneipe erniedrigt hat wie ich heute Nacht. Wenn man schon stundenlang dasteht mit seinen Drinks und den Weibern, die auch schon lange dastehen und vielleicht gar nicht so schlecht aussehen.«
Wide wollte es nicht hören, er wusste, was jetzt kommen würde. So was wurde wieder und wieder in den polizeilichen Knechtekammern durchgehechelt, bis die Wände vom verbalen Schleim trieften.
»Dann geht man zu einer hin und stellt sich vor. Das Nächste, woran man sich erinnert, ist, dass man aufwacht und weiß, man liegt in einem Bett und fühlt einen Druck auf dem Arm. Man will die Augen nicht öffnen, weil man schon ahnt, was da liegt. Dann öffnet man sie doch und will schneller als schnell weg, aber es wäre eine Katastrophe, wenn sie aufwachen würde. Was tut man? Man macht es wie ein Präriewolf in der Falle: Man nagt sich den Arm ab!«
»Möchte wissen, was sie gemacht hätte, wenn sie beim Aufwachen den Arm da liegen gesehen hätte.«
»Weißt du was, ich glaub, sie war die ganze Zeit wach.«
Sie waren in einen Fahrstuhl gestiegen, fuhren zum fünften Stock hinauf, und Wide spürte das Saugen im Magen, als es aufwärts ging, umgeben von Stein und Glas, und tief dort unten die hübsche Staffage.
Peter Sjögrens Zimmer lag nach Westen, aufgrund seiner Autorität als Senior durfte er es allein nutzen, und er hatte seine Umgebung nach seinen Bedürfnissen gestaltet: Der Raum war voller Papiere und Bücher. Wide schob einen Stapel beiseite und setzte sich auf das kurze, gerade Sofa an der Tür. Sjögren zündete sich eine Zigarette an. Wide sah den Anschlag über dem Computer des Journalisten. Er hatte ähnliche im Zeitungsgebäude gesehen.
»Darf man hier rauchen?«
»Nein.«
Wide betrachtete die Wände, die bedeckt
Weitere Kostenlose Bücher
Die vierte Zeugin Online Lesen
von
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg