Geh aus, mein Herz
der hereingekommen und sofort wieder umgekehrt war. Ein Menschenscheuer? Oder plötzlich geänderte Pläne?
Als sie im Auto über ihre Karte nachgedacht hatte, meinte sie, den Mann wieder gesehen zu haben; er lief auf der anderen Straßenseite vorbei. Er war groß und ging leicht vornübergebeugt, als trüge er einen Rucksack oder so etwas Ähnliches. Aber als sie seinen Gang aus den Augenwinkeln verfolgte, sah sie auf seinem Rücken nichts weiter als die Bewegungen seines Dufflecoats.
»Das ist gut. Du hattest Recht.«
»Jetzt haben wir den Zusammenhang.«
»In Mariannelund sind wir auch fündig geworden. Bengt Arvidsson ist in einem Sommerlager gewesen – an diesem Ort am Värnamosee.«
»In Hindsekind.«
»In Hindsekind. 1962 war das.«
»Genau.«
»Und dann bekommen wir von dir die Bestätigung mit der Frau – dem Mädchen. Trotz des Brandes.«
Es war einige Stunden später, nachdem Wide in die Stadt zurückkehrt war, aber immer noch derselbe Abend. Sie saßen in Ards Haus in Kungssten, auf der Ekebäckseite, in dem Raum, den Ard seine Bibliothek nannte, in teuren Ledersesseln, die Ard unter Seelenqualen gekauft hatte. Ihm war es nicht um das Geld gegangen. Es war eher ein sozialer Widerwille, der Widerwille eines Menschen, der aus einem Milieu stammte, wo man sich Luxus versagte. Aber Sten Ard und seine Frau Maja hatten sich rasch an das Leder gewöhnt, ihre Gäste ebenso, und Wide ließ einen Talisker zwischen den Fingern kreiseln und genoss den herben, guten Ledergeruch und gleichzeitig den starken Duft nach Rauch, der vom Maltwhisky aufstieg.
»Verdammt viele Gesichter.«
»Das ist ein Anfang – mehr als ein Anfang, Sten.«
»Vielleicht bringt uns das einer Lösung näher. Hoffentlich.«
»Wie meinst du das?«
»Hast du auch schon einmal daran gedacht, dass der Mörder vielleicht hinter einer besonderen Person her ist? Einer von den dreien. Dass der Mord an den anderen beiden nur eine Art Verschleierung war, eine Ablenkung von dem, um was es in Wirklichkeit geht?«
»Natürlich.«
»Aber du glaubst nicht daran?«
»Nein, jetzt noch weniger, seitdem ich in Småland war.«
Ard schwieg. Er wartete darauf, dass Wide weitersprach.
»Es ist ein grässlicher Ort. Ich habe das Grausen gekriegt. Oder vielmehr – das Grausen ist hinterher gekommen.«
»Hm. Warum hast du keinen Kontakt zur Polizei in Värnamo aufgenommen? Die hätten auf der Stelle rausfahren und eventuelle Spuren des Einbruchs sichern müssen.«
Sie hatten darüber gesprochen. Die offene Haustür. Die Deckenstapel neben dem Speisesaal.
»Manchmal ist es nicht richtig, das eigentlich Richtige zu tun. Ich brauchte noch einen Tag. Als ich Värnamo verließ, war ich nicht sicher, ob ich zurückkommen würde, ob es wichtig wäre, noch einmal dort herumzugehen.«
»Daraus ist nichts geworden.«
»Nein, mir schien, ich brauchte es nicht mehr.«
»Ja, jetzt ist es zu spät. Jetzt ist die Polizei da draußen und bestimmt betrachtet sie die Sache mit einer gewissen Skepsis. Einbrüche sind nichts Ungewöhnliches auf dem Lande. Aber die Decken sind sichergestellt worden.«
»Was machst du, wenn sich daran Spuren derselben Erde nachweisen lassen?«
»Was ich dann mache? Dasselbe wie jetzt, Jagd nach neuen Namen, Adressen und Angehörigen. Wir kommen nicht schneller voran – es sei denn, man würde mir das gesamte Personal des Präsidiums zur Verfügung stellen.«
Wide lehnte einen zweiten Whisky dankend ab; er hatte noch gar nicht aus dem Glas getrunken, das er in der Hand hielt. Ard hob den Kopf.
»Ich hab ein weiteres Gespräch mit Henrik Bjurlinge gehabt.«
»Melinders Partner?«
»Ja. Ich hab ihm klar gemacht, dass wir mit seinem Alibi nicht zufrieden sind, oder besser gesagt, mit dem Fehlen eines Alibis.«
»Ihm mit Untersuchungshaft gedroht?«
»So was entscheide ja nicht ich, sondern der Staatsanwalt.«
»Du gemeiner Kerl.«
»Ja.«
»Hat er es mit der Angst zu tun bekommen?«
»Und ob. Genau wie andere Leute will er sich nicht mit der Gesellschaft anlegen, unschuldig oder nicht.«
»Hatte er was Neues zu sagen?«
»Es hat eine Weile gedauert, aber er hat ein Alibi.«
»Ein anderer Mann?«
»Woher weißt du das?«, fragte Ard, aber ihm war bewusst, dass der Grund ziemlich klar war.
»Der Grund ist ja ziemlich klar – vorausgesetzt, er hat es nicht getan.«
»Ja.«
»Warst du – diskret?«
»So diskret wie möglich. Dinge, mit denen Menschen sich beschäftigen, pflegen an die Oberfläche zu treiben.
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