Geh aus, mein Herz
das Gemeindehaus, parkte auf dem Platz auf der anderen Straßenseite und suchte dann den Bearbeiter, mit dem der ehemalige Direktor gesprochen hatte, bevor Wide sich auf den Weg gemacht hatte.
Es war eine Bearbeiterin, wie sich herausstellte, aber sie wusste nicht viel, hatte die Sache jedoch erstaunlich schnell überprüft.
Stig Thisenius’ Mutter war an Krebs gestorben. Der Vater lebte mehr schlecht als recht, eine frühzeitig einsetzende Demenz machte die Kommunikation mit ihm unmöglich.
Er verließ das Gebäude. Einen Besuch hatte er noch vor sich. Rickard Melinders Mutter war von der Kripo in Eksjö verhört worden, und das hatte die Trauer der alten Frau nicht gerade gelindert. Als Wide von Göteborg aus telefonisch ein Treffen mit ihr verabreden wollte, war er sich vorgekommen wie ein Elefant im Porzellanladen. Sie hatte nichts versprochen. Er war nicht einmal sicher, ob sie überhaupt begriffen hatte, was er sagte.
Er setzte sich ins Auto, zog den Zettel aus der Brusttasche und suchte den Weg zu der Adresse in einem stillen Viertel im Süden. Es war ein Siedlungshaus in der Björkängsgatan, mit grünem Eternit verkleidet. Wide kannte sich aus: Ein wenig weiter südwärts über den Nässjövägen hinweg, der parallel verlief, lag ein Waldstück, dessen Namen er vergessen hatte. Dort hatten er und seine Freunde Indianer gespielt. War es wirklich hier gewesen? Vielleicht noch etwas näher zum See und der Festung. Hatte Rickard Melinder damals hier gewohnt? Wide konnte sich nicht daran erinnern, auf ihn gestoßen zu sein, weder als »Indianer« noch als »Weißer«.
Er drückte auf einen verrosteten Klingelknopf und wartete. Er klingelte noch einmal. Zwei Minuten später wurde die Tür geöffnet. Wide sah einen dünnen Arm und ein mageres Gesicht im Dunkel des Vorraums. Es roch nach gebratenen Zwiebeln. Er stellte sich vor.
»Ich habe doch gesagt, dass ich nicht darüber reden will.«
»Ich dachte …«
»Ich habe schon mit der Polizei gesprochen.«
Wide zeigte ihr seinen Ausweis.
»Es geht um …«
»Gehen Sie! Könnt ihr eine alte Frau nicht in Frieden lassen? Bitte gehen Sie.«
Wide sagte »Danke« und »Entschuldigung« und machte kehrt. Er setzte sich in sein Auto und fuhr zu der Tankstelle am Vetlandavägen. Dort kaufte er sich zwei Bananen, einen Liter Mineralwasser und eine 100-Gramm-Tafel Schokolade. Er füllte die Scheibenwaschanlage auf, tankte fünfundzwanzig Liter Benzin, kontrollierte das Öl und fuhr weiter. Bei einem Stoppschild musste er halten und sah Enten vom See abheben und nach Südwesten fliegen.
Wide bog nach Westen auf die 127 ein. Er wollte nach Hause.
25
Als er bei der Abzweigung Kallebäcksmotet den Fuß vom Gaspedal nahm, begrüßten ihn die Lichter der Halbmillionenstadt. Von hier oben sah Göteborg aus wie ein Tal voller verstreuter kleiner Sterne. Er wusste, dass das Bild bei Tageslicht anders aussah: Die Stadt war wie ein breiter Strauß stachliger Blumen, die Gebäude abwechselnd wie Unkraut und gezüchtete Pflanzen von Kortedala – bis Långedrag !, wie der Kerl von einem der lokalen Musiksender in Wides Autoradio gerade ausrief. Der alte Kasten war zu neuem Leben erwacht, ganz plötzlich. Wann hatte er das letzte Mal so gut funktioniert? Vielleicht hing das mit dem Salzgehalt der Atmosphäre zusammen. Oder mit dem Schnee in der Luft, dachte Wide. Das Zentrum war mit Schnee bedeckt. Seit er den sicheren Hafen verlassen hatte, war es Dezember geworden: Sieh mal einer an, was Göteborg für Anstrengungen machte, um das bevorstehende Fest der Freude und des Lichts zu feiern.
Majorna war ein weißer Stadtteil. Der erste Schnee der Saison, der mehr als eine Stunde liegen blieb, überzog die guten und die bösen Orte mit derselben Schicht Unschuld. Wer heute Abend einen Mord begeht, muss in seinen eigenen Spuren rückwärts gehen und sie mit einem Tannenzweig verwischen, dachte Wide. Er fühlte sich erschöpft nach der anstrengenden Fahrt durch die Dunkelheit und bei Glätte, hinter Scheibenwischern, die ihr Bestes gegeben hatten.
Seine Wohnung wirkte behaglich. Leute, die nie verreisten, brachten sich um das Erlebnis der Heimkehr, dachte er. Er war eine Nacht weg gewesen. War das nicht lange? Wide wurde bewusst, dass er seine Wohnung seit der Scheidung kaum mehr als für eine Nacht verlassen hatte. Das letzte Mal im vergangenen Sommer – eine Reise nach Jütland –, aber daran wollte er jetzt nicht denken.
Er war in etwas hineingezogen worden, was ihn nicht
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