Geh Ich Auf Meine Hochzeit
meine Kleine«, sagte sie und presste ihr Gesicht an das ihrer Tochter. »Dann wollen wir uns mal von allen verabschieden.«
Als sie Sasha gerade zudeckte, trat Stephen ins Hotelzimmer.
»Soll ich dir eine Geschichte vorlesen?«, fragte er.
Sasha nickte und räkelte sich genüsslich in ihrem kleinen Bett. Olivia räumte das bezaubernde Kleidchen weg und hörte liebevoll zu, während Stephen ihr zum hundertsten Mal die Geschichte von Flopsy, Mopsy und Cottontail vorlas.
Sie zog sich wieder ihre dunkelblaue Jacke über, trug etwas Lippenstift auf und wartete ab, bis er am Happy End angelangt wäre- Wenn sie für eine halbe Stunde auf das Fest unten zurückkehrte, würde sie sich von allen verabschieden und sich zurückziehen, damit Stephen auch noch eine Stunde hinuntergehen konnte. Das war ihr nur recht so, denn sie wollte sich ohnehin gerne hinlegen.
Jetzt ließ sie ihren Lippenstift in die Handtasche zurückfallen, rückte ihren Gürtel gerade und stand schweigend neben der Tür.
»Wohin gehst du denn?«, fragte Stephen verblüfft. »Du wirst doch sicher auf Sasha aufpassen wollen?«
Olivia blinzelte. Offenbar erwartete er tatsächlich, dass sie blieb. Nicht einmal eine Absprache hielt er für nötig. Stephen hatte bereits entschieden, dass Olivia den Rest ihres Abends opfern und auf ihre Tochter aufpassen würde. Es ging ihr nicht darum, dass sie nicht bei Sasha sein wollte doch konnte sie es nicht ertragen, dass er ihr gar keine Wahl ließ, nicht einmal seinen Dienst anbot.
Sie war die Frau, also hatte sie sich um die Kinder zu kümmern - Schluss aus! Quod erat demonstrandum.
Wie Lava, die gefährlich unter den Erdplatten brodelte, bahnte sich ihr Unmut vulkanartig einen Weg an die Oberfläche. Mit vor Wut verzerrtem Gesicht kam Olivia zitternd auf Stephen zu und zog ihn auf den Flur hinaus.
»Niemals denkst du auch nur den Bruchteil einer Sekunde an mich, nicht wahr?«, zischte sie. »Du erwartest, dass ich genau das tue, was du von mir verlangst, ohne mich ein einziges Mal nach meinen Wünschen zu fragen. Es ist dir gar nicht in den Sinn gekommen, dass ich vielleicht auch noch ein Weilchen auf das Fest zurückkehren möchte, während du auf Sasha aufpasst!«
Überrumpelt suchte Stephen nach Worten, um sich zu verteidigen. Nach etlichen Gläsern guten Weines fiel ihm jedoch nichts ein. Dass Olivia gleich zwei Mal an einem Tag in die Luft ging, war nicht normal. Es widersprach völlig ihrem Wesen, ja, war geradezu unvorstellbar.
Doch sie hatte noch mehr zu sagen. Ihre Augen leuchteten merkwürdig hell, als sie ihm einen Finger vor die Brust stieß.
»Du kannst hier oben bleiben. Und ich werde mich jetzt mit meinen Freunden vergnügen. Du wolltest doch gar nicht auf diese Hochzeit kommen, Stephen! Dann kannst du dir heute einen frühen Feierabend gönnen. Falls Sasha mich braucht, ich bin unten.« Sie warf ihm einen angewiderten Blick zu. »Du verbringst leider zu wenig Zeit mit ihr, als dass du Abhilfe schaffen könntest, falls es ihr nicht gut geht.« Sie drehte sich abrupt um und schwebte die Treppe hinunter.
Ohne Umwege steuerte sie die Bar an. Ihre Wut befeuerte ihren Wunsch nach einem gehaltvollen Drink, worüber sich Stephen ärgern würde. Sie trank nur selten, doch wenn sie es tat, war es ihm ein Dorn im Auge. Höchstens eine bescheidene Weißweinschorle entsprach seiner Vorstellung von einer anständigen Mutterglucke!
Vidas Sohn stand an der Bar. Olivia fiel auf, dass seine Schultern ein wenig eingesunken waren.
Als man sie vorhin mit ihm bekannt gemacht hatte, war er charmant und höflich gewesen, obwohl er einzig und allein für Evie Augen gehabt hatte. Jetzt begrüßte er sie herzlich und fragte, was sie trinken wolle.
»Etwas sehr Gehaltvolles«, ordnete sie energisch an. »Etwas, was mich so sehr aus der Bahn haut, dass ich meinen Mann heute Nacht nicht meuchlings ermorde!«
Max Augen leuchteten belustigt auf.
»Da will ich mich wirklich nicht einmischen.« Er verschränkte die Arme. »Doch gebe ich zu bedenken, dass Alkohol die Wahrscheinlichkeit einer solchen Schandtat eher erhöht.«
Olivia sah ihn an, und beide lachten.
»Ich war gerade dabei, für meine Mutter einen Weinbrand zu holen. Sie liebt ihn, gönnt ihn sich jedoch nur zu ganz besonderen Anlässen. Darf ich Ihnen auch einen bestellen?«
Das Fest schien sich dem Ende zuzuneigen. Die Leute saßen grüppchenweise zusammen, die Musiker spielten leise im Hintergrund. Max und Olivia setzten sich in eine ruhige Ecke und
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