Geh Ich Auf Meine Hochzeit
Mahlzeit zubereiten konnte, spornte ihren Ehrgeiz nicht an. Im Gegenteil - sie war froh, wenn es zur Pause läutete und sie sich mit einer Tasse Tee im Lehrerzimmer in einen Sessel schmeißen und davon verkünden konnte, was für ein schreckliches Kind Cheryl Dennis doch war. Dann ertönte es um sie herum im Chor: »Wann wird der Direktor das Biest endlich von der Schule verweisen?«
Stephen hingegen liebte seinen Job und dessen Zeit raubende Herausforderungen. Seiner Abteilung wie ein Diktator vorzustehen entsprach ganz und gar seinem Wesen. Er jedenfalls wüsste sicherlich genau, wie man mit Cheryl umzugehen hatte, wenn sie ihre beste Freundin mit Hackfleisch bewarf und diese sich prompt mit Bohnen revanchierte.
»Der Nächste bitte!« Die Kassiererin gähnte.
Vergiss die von der Sonne verwöhnten Strände, ermahnte sich Olivia streng. Sie legte ihre Artikel auf das Laufband und stellte sich die Ferientage vor, die sie tatsächlich miteinander verbringen würden: das Weihnachtsessen mit ihren Eltern, Stephen und Sasha in dem unordentlichen Blockhaus. Es handelte sich stets um eine etwas raue Angelegenheit, denn ihre Eltern würden beide noch vor dem geräucherten Lachs bereits sturzbetrunken sein. Derweil würde Stephen schweigend seinem Missfallen Ausdruck verleihen, während die Flasche Ciaret mit Schwindel erregender Hast von einem zum anderen wanderte. Als ob es Olivias Schuld war, dass ihre Eltern so viel tranken!
Ihre Mutter würde viel zu viel kichern, als dass sie beim Kochen eine Hilfe wäre, und Janet, der neuen Haushaltshilfe - von der Olivia vermutete, dass sie die ohnehin schon astronomische Getränkerechnung noch weiter in die Höhe trieb - hatte man die Woche über beurlaubt.
Stephen war, was Gemüse betraf, ein hoffnungsloser Fall. Außerdem käme er nach der einwöchigen Deutschlandreise bestimmt erschöpft zurück. Es blieb also an Olivia hängen, auf dem steinalten, verkrusteten Herd etwas zu zaubern.
Kein Wunder, dass die uralten Herde in der Schule sie niemals aus der Ruhe brachten - denn da sie mit der mehr als dürftigen Ausstattung zu Hause kochen gelernt hatte, vermochte Olivia ein viergängiges Menü mit nur zwei Töpfen und einer einzigen Gasflamme herzustellen.
Immerhin würden ihre Mutter und ihr Vater am Nachmittag über einem Indiana-Jones-Film einschlafen, so dass Stephen und sie mit Sasha einen Bummel durch das Dorf machen und dann bei den Frasers, ihren engsten Freunden, vorbeischauen konnten.
Weihnachten würde bei den Frasers immer recht lustig gefeiert, dachte Olivia sehnsüchtig und erinnerte sich an das Jahr, an dem sie sich von einem lautstarken Festgegröle zu Hause davongestohlen hatte. Sie hatte ihre krakeelenden Vere-Verwandten in dem antiken Esszimmer zurückgelassen, wo sie den stärksten Eierlikör tranken, den man sich nur vorstellen konnte. Damals war sie eine schüchterne Vierzehnjährige gewesen. In die friedliche Atmosphäre der gemütlichen kleinen Küche der Frasers einzutauchen, war ihr wie ein Segen erschienen.
Der Duft einer Gans, die in dem alten Ofen brutzelte, erfüllte die Küche. Frau Fraser und Evie scherzten, während sie den Tisch für das Mittagessen deckten. Herr Fraser saß in seinem alten Sessel und las wie üblich, während die sechsjährige Cara auf dem Fußboden lag und mittels Herdplattenpaste und der sicherlich für sie verbotenen Küchenschere ihre neue Puppe in einen Action Man zu verwandeln trachtete. Der einfache Tisch war nicht annähernd so imposant wie der Tisch bei Olivia zu Hause, den Waterford-Kristallgläser und echtes Silber zierten. Aber er war viel, viel einladender.
»Olivia, Liebes, frohe Weihnachten«, begrüßte Frau Fraser sie und breitete einladend die Arme aus. Sie roch nicht nach Mottenkugeln in einem uralten Twinset, das sie aus den Tiefen des Kleiderschrankes gegraben hatte. Sie duftete nach Backwaren und nach Blue Grass, das sie zu besonderen Anlässen benutzte.
Selig lächelte Olivia die Frasers an und wünschte sich, dass sie ihre Eltern wären. Augenblicklich unterdrückte sie diesen Gedanken wieder, denn sie fühlte sich wie eine Verräterin.
Die eigenen Eltern sollte man schließlich lieben und sich nicht nach denjenigen seiner besten Freundin sehnen. Bloß, Evies Eltern waren... nun, eben richtige Eltern, erwachsene Eltern. Nicht wie Sybil und Leslie de Vere, die sich immer noch wie die sorglosen Jugendlichen benahmen, die sie gewesen waren, als sie sich in den fünfziger Jahren auf dem College
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