Geh Ich Auf Meine Hochzeit
Supermarkt werde nun geschlossen und alle Kunden sollten sich zu den Kassen begeben. Es handelte sich um den allerletzten Aufruf.
Ein wenig kam es ihr wie auf dem Flughafen vor, wenn man den eigenen Flug als nun geschlossen vernahm. Olivia schnappte sich im Vorbeigehen noch ein Paket Mini-Mars und warf es auf den Berg ihrer Einkäufe. Was würde sie darum geben, jetzt in einem Flugzeug zu sitzen und irgendeinen exotischen Ort anzusteuern, wo man Weihnachten nicht feierte und die Temperatur nur selten unter dreißig Grad abkühlte.
Einen Augenblick lang träumte sie von mit Palmen bewachsenen Stränden, weißem Sand und himmelblauem Wasser, das so klar war, dass man die kleinen silbernen Fische in der Nähe des Ufers sehen konnte. Stephen und sie lagen auf Liegestühlen dicht am Wasser und lauschten den Wellen, während die warme Sonne ihre nackten Glieder wärmte. Sasha spielte im Sand, ihr Spielzeug lag ausgebreitet neben ihren dicken Beinchen. Sie trug einen rosa Badeanzug, ihr weißblondes Haar war zu niedlichen Rattenschwänzen geflochten, und ihr engelhaftes Gesichtchen lächelte zufrieden.
Doch das waren leider Hirngespinste. Zu dritt hatten sie seit fast anderthalb Jahren keinen gemeinsamen Urlaub mehr gemacht, weil Stephen mit der Fusion zwischen der Celtic International Incorporated Bank und einer deutschen Großbank bis über den Kragen in Daten steckte.
Als hochrangiger Mitarbeiter im Bereich Informationstechnologie sollte man eigentlich über eine Heerschar von Assistenten verfügen, die einem die Drecksarbeit abnahmen. Doch Stephens Einsatz und Perfektionismus verlangten, dass er über jeden einzelnen Schritt informiert werden wollte - an Wochenenden, nachts, wann auch immer.
»Das kann ich keinem anderen überlassen«, würde er mit ausdrucksloser Miene murmeln. Seine attraktiven, etwas dunkelhäutigen Züge wirkten bereits weit entfernt, wenn er seinen schlanken Samsonite-Koffer für die nächste Auslandsreise packte. »Ich bekomme mein Gehalt nicht umsonst, weißt du! Es ist hart für dich, Olivia, aber wir müssen Abstriche machen, wenn wir vorankommen wollen.«
Ihr jedenfalls hingen diese Sorte Abstriche zum Hals heraus. Ihr Apartment in Blackrock mochte zwar dank Stephens ständig steigender Bezahlung einer Nachher-Fotografie eines Innenausstatter-Magazins ähneln, doch sah sie ihn seltener und seltener, während sich gleichzeitig seine Arbeitslast erhöhte, Olivia verbrachte ihre Geburtstage und Jahrestage alleine und fragte sich, ob sie wohl jemals ein normales Wochenende mit Familie haben würde, an dem Stephen nicht mindestens ein Mal in sein Büro in der Innenstadt jagte. In den zwölf Jahren ihrer Ehe hatte sie sechs Hochzeitstage alleine verbracht. Und kurzfristig anberaumte Besprechungen in Stephens Terminplan hatten zur Folge gehabt, dass er an drei ihrer Geburtstage nicht bei ihr gewesen war.
Die lang ersehnte Spanienreise im Juli hatten sie absagen müssen, als in der Amsterdamer Filiale eine Krise ausgebrochen war. Und die zwei Wochen in der Dordogne im vergangenen Jahr waren ständig durch das schrille Klingeln von Stephens Handy gestört worden.
Olivia gäbe sich auch ohne den teuren Fußboden aus Schwedenhölzern und der supermodernen Küche zufrieden, wenn sie nur jemanden hätte, mit dem sie ihr Zuhause öfters teilen könnte. Sie vergötterte Sasha, aber am Ende einer Woche, die sie nur mit ihrer Tochter als Gesprächspartner verbracht hatte, sehnte sich Olivia nach einer Unterhaltung mit Erwachsenen. Ein Ferngespräch aus einem Hotel mit »natürlich vermisse ich dich« konnte einfach die eheliche Zweisamkeit auf dem Sofa, wo er ihr während einer vertrauten Plauderei die Füße massierte, nicht ersetzen. Aber er liebte seine Arbeit und war bereit, seine Karriere unter allen Umständen voranzutreiben. Sogar auch dann, wenn er deshalb mehr Zeit woanders als zu Hause verbrachte.
Manchmal begriff Olivia seine Einstellung einfach nicht. Keine Arbeit der Welt hätte sie dazu gebracht, Stephen und Sasha über Wochen allein zu lassen. Auch dann nicht, wenn ein dickes Konto, zahlreiche Zusatzleistungen, ein luxuriöser BMW und eine Firmenkarte von American Express lockten.
Vielleicht war es der Tatsache zuzuschreiben, dass ihr Teilzeitjob als Haushaltslehrerin in ihr einfach nicht den brennenden Wunsch nach einer eigenen Karriere auslöste.
Einer vollkommen desinteressierten dritten Klasse beizubringen, wie man mit einer Dose Bohnen und etwas Hackfleisch eine nahrhafte
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