Geh Ich Auf Meine Hochzeit
ungewöhnlich gutes Aussehen noch. Modisch enge und sexy Kleidung war viel zu aufdringlich für jemanden wie Olivia. Sie fühlte sich wohler in konservativen Chiffonblusen und langen Gewändern, die sie auf Flohmärkten aufstöberte, als in den schicken Minis, die sich Stephen für sie wünschte.
Olivia warf dem Sicherheitsposten ein liebenswürdiges Lächeln zu, mit dem sie auch sonst ihre Umgebung bedachte, ob nun Freund oder Fremder. Sie konnte nicht anders: es war wie ein Reflex.
»Du bist nicht wie andere schöne Menschen, Olivia«, hatte Rosie vor kurzem leicht abfällig bemerkt. »Du bist allen gegenüber freundlich.«
»Was ist denn daran auszusetzen?«, hatte sie nachgehakt. Rosie nahm sie nichts übel, denn sie liebte ihr etwas burschikoses siebzehnjähriges Patenkind.
»Zu nett«, hatte Rosie daraufhin knapp bemerkt.
Jetzt verstaute Olivia die Tüten im Kofferraum des Golfs und zitterte in der eisigen Nachtluft.
Zu gerne würde sie kurz bei Evie vorbeischauen. Sie hatte keine Lust nach Hause zu eilen, denn sie hatte nichts in den Tüten, was sofort schlecht geworden wäre. Und selbst wenn, dachte Olivia, während sie mit der Heizung kämpfte. Die Sachen würden ohnehin gefroren bleiben, egal wie lange sie sich bei Evie und Rosie aufhielt. Draußen war es bitterkalt, und da die Heizung des zwölf Jahre alten Golfs nur gelegentlich funktionierte, fror sie erheblich.
Richtig, sie würde bei Evie vorbeischauen. Nach dem hinter ihr liegenden Höllentag würde es eine Wohltat sein, in dem hübschen Wohnzimmer vor dem Kamin zu sitzen und zu plaudern.
Aber dann fiel ihr ein, dass Evie auf Simons Weihnachtsfeier war. Mist. Sie saß im Auto und starrte auf den mit Lampen, Lametta und riesigen künstlichen Schneeflocken dekorierten Supermarkt - am liebsten wäre sie in Tränen ausgebrochen. Sicher prämenstruell, dachte sie und fahndete in ihrer Handtasche nach einem Tempo.
Alles war diese Woche schief gelaufen und hatte am letzten Schultag in der Hackfleischschlacht von Cheryl Dennis seinen Höhepunkt erreicht. Jetzt saß sie obendrein mit dem verdammten Cedric und der verdammten Sheilagh fest. Sie würden erst sehr spät zu Bett gehen, während sie, die am nächsten Morgen bergeweise Quiches zuzubereiten hatte, um sechs Uhr früh aufstehen musste.
Eine halbe Stunde mit Evie zu plaudern hätte sie immerhin so weit aufgemuntert, um die Sache durchzustehen.
Sie schnäuzte sich die Nase und stellte sich vor, was ihre Freundin über die MacKenzie-Senioren sagen würde. Aber Evie hatte ihre Meinung bereits geäußert: »Diese Leute haben nicht die geringsten Manieren - sie hätten eine Art Schocktherapie verdient. Sie begreifen es einfach nicht - nur eine recht rabiate Methode würde Wirkung zeitigen.« Heute wäre ihr Ratschlag ebenso brüsk: »Sag ihnen, dass du noch vieles zu erledigen hast Und früh zu Bett gehen musst. Und sage ihnen, dass sie sich morgen selbst zu beschäftigen haben und...« Hier würde Evie der Wirkung halber eine Pause einlegen und ihre Stirn in Falten legen. »Sag ihnen, dass sie das nächste Mal, wenn sie bei dir übernachten wollen, vorher anrufen möchten. Ich verstehe einfach nicht, weshalb du nicht ein offenes Wort sprechen kannst, Olivia. Sie werden dich dein ganzes Leben lang quälen, wenn du ihnen gegenüber nicht gelegentlich etwas bestimmter auftrittst.«
Die gute Evie war so um ihr Wohl besorgt; aber andererseits hatte sie Recht, das wusste Olivia nur zu gut. Dennoch war es eine Sache, all die mit Nachdruck vorzutragenden Dinge zu denken, die sie ihren aufdringlichen, rücksichtslosen Verwandten gerne mitteilen würde. Etwas ganz anderes war es, sie auch laut auszusprechen. Solche unverblümten Direktheiten würden Stephen sehr wehtun, denn er vergötterte seine Eltern. Und Olivia wollte ihn unter gar keinen Umständen kränken.
»Ich bin zurück«, rief sie fröhlich, während sie die erste Ladung Tüten in die Wohnung schleppte. Das war einer der lästigen Nachteile eines Hochhauses: man musste das Auto in mehreren Etappen ausladen; denn der Aufzug ließ sich nicht zuverlässig auf Warten stellen, während sie die ersten Tüten über den Flur zu ihrer Tür schleppte.
»Mir passiert das nie«, hatte Stephen bemerkt, als sie sich einmal darüber beschwert hatte.
In ihrer Loyalität mochte Olivia ihn nicht darauf hinweisen, dass er nur ein einziges Mal den großen Einkauf getätigt hatte, nämlich als sie mit einer Bronchitis im Bett gelegen hatte. In dieser Frage war
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