Geh Ich Auf Meine Hochzeit
während Cedric und Sheilagh sich hier einnisteten und ihre Gesellschaft erwarteten, Mahlzeiten wünschten und stündlich reichlich neuen Lapsang-Souchong-Tee verlangten?
Warum konnten sie nicht einfach normalen Tee trinken wie andere Leute auch? Und wie sollte sie ihnen sagen, dass sie am nächsten Abend bis um sechs abgereist sein mussten, damit Stephen und sie rechtzeitig zum Weihnachtsempfang nach Ballymoreen gelangten?
Cedric und Sheilagh hatten bereits mehrmals darüber gejammert, dass diesmal Olivias Eltern das Weihnachtsfest ausrichteten. Damit wollten sie entschieden darauf hinweisen, dass sie ihr Festessen ganz alleine einnehmen mussten. Der dritte Weltkrieg wäre ausgebrochen, wenn Olivia sie aus der Wohnung gedrängt hätte, ehe sie selbst zum Aufbruch bereit waren.
»Sasha ist jetzt in diesem entzückenden Alter, wo es eine Wonne ist, sie beim Öffnen ihrer Geschenke zu beobachten«, hatte Sheilagh zuvor bemerkt. Diese Bemerkung erzeugte heftige Schuldgefühle in ihrer Schwiegertochter. Als sie die Geschenke unter Olivias Weihnachtsbaum platzierte, wischte sie sich ganz unverblümt eine Träne ab.
Olivia fühlte sich wie eine Verbrecherin, die der alten Dame die gemeinsame Zeit mit dem einzigen Enkelkind verwehrte. Doch als der Tag nun unendlich langsam verstrich, fiel Olivia auf, dass weder Cedric noch Sheilagh ihrer so geliebten kleinen Enkelin viel Aufmerksamkeit widmeten: Sasha verbrachte lange Zeit ruhig in der Küche, wo sie mit ihren Buntstiften, goldenen und silbernen Sternen und einem für Kinder geeigneten Klebstoff Karten anfertigte.
Olivia liebte es, ihr dabei zuzuschauen: das Gesichtchen angespannt, die gepolsterten kurzen Finger auffallend geschickt, als sie das Smiley-Gesicht mit langem, goldenem Haar umrandete: »Genau wie deines, Mama.«
Sheilagh hatte sich nicht ein einziges Mal dazugesellt, außer während einem kurzen Augenblick, als sie um Tee und Kekse ersuchte. Olivia schien es fast, als sei ihr Zuhause eine Art noble Wartehalle, wo man sich nach der Reise von Navan ausruhen konnte, ehe man in die Stadt zum Einkaufen chauffiert wurde. Sasha zu sehen und ihre Geschenke abzuliefern war lediglich ein geeigneter Vorwand.
Hör auf damit! ermahnte sie sich. Das ist nicht nett. Sie lieben Sasha, sie ist ihr einziger Enkel, und natürlich wollen sie gerne Zeit mit ihr verbringen. Ihnen fällt eben der Umgang mit Kindern nicht leicht. Genauso schwer wie der mit Erwachsenen, meldete sich eine rebellische Stimme in ihrem Hinterkopf.
Schließlich konnte sie der Wohnung erst am späten Abend entkommen, als Sasha bereits im Bett war und Sheilagh es sich mit einer Tasse Schokolade sowie einem riesigen Berg Keksen vor dem Fernseher bequem gemacht hatte, um Emmerdale und The Bill zu sehen.
»Ich fahre nur schnell zum Supermarkt«, zwitscherte Olivia und verbarg höflich die Tatsache, dass sie nach einem Tag des Kochens und hinter ihren Gästen Herräumens mit ihren Kräften am Ende war. Mal ganz abgesehen von dem Trauma des fünf Kilometer langen Staus stadteinwärts nach Dublin, weil es Sheilagh eingefallen war, ein paar letzte Geschenke bei Arnott‘s zu erwerben.
»Geh du nur, Olivia«, meinte Cedric großzügig. »Ich kümmere mich um den Abwasch.«
Olivia unterdrückte die Bemerkung, dass das einzig verbliebene Geschirr seine und Sheilaghs Teetassen waren; denn sie hatte nach dem üppigen Abendessen bereits die Töpfe geschrubbt, bis ihr die Arme schmerzten, und die Spülmaschine eingeschaltet. Aber sie war so dankbar gewesen, sich kurz verflüchtigen zu können, dass sie schweigend lächelte, als sie die Wohnungstür so leise wie möglich hinter sich ins Schloss zog.
»Fünf Pfund und zweiunddreißig Pence«, zählte die Kassiererin das Geld, das sie Olivia zurückreichte.
»Danke!« Sie schubste den widerspenstigen Einkaufswagen in Richtung Tür.
Der Sicherheitsposten zog die Gitter herunter und warf ihr einen glühenden, bewundernden Blick zu. Sie war groß, schlank und hatte ein wunderschönes Gesicht. Männern fiel Olivia immer auf, selbst wenn sie in ihrem alten und sehr bequemen indianischen Fransenrock steckte, einen viel zu großen, abgewetzten schwarzen Mantel und flache Wildlederstiefel trug, die sie seit mindestens zehn Jahren besaß.
Die fließenden Hüllen konnten den eleganten, biegsamen Körper, das ovale Gesicht mit den schmalen silbergrauen Augen und blassen vollen Lippen nicht verstecken.
Wenn überhaupt, so unterstrich ihr exzentrischer Kleidungsstil ihr
Weitere Kostenlose Bücher