Geh Ich Auf Meine Hochzeit
sich so leicht um den Finger wickeln ließ. So sein wie sie wollten sie keinesfalls - sondern starke, einflussreiche Erfolgsladys. Wie gesagt, einigen unter ihnen fiel auf, dass sich Frau MacKenzie nicht wie gewohnt manipulieren ließ.
Die Lehrerin stellte sich neben Cheryl und sah ironisch auf sie hinab.
Frech erwiderte das Mädchen ihren Blick.
Olivia begriff, dass sie da jetzt durch musste. Sie hoffte, es lange genug auszuhalten und sie weiter anzustarren. Überheblich ließ sie den Blick über die Schülerin schweifen. Nicht umsonst entstammte sie einer alteingesessenen Adelsfamilie. Den hochmütigen Blick hatte sie von ihrer Mutter geerbt, aber bisher nie eingesetzt. Ihre feinen Gesichtszüge verzogen sich abschätzig. Jahrhunderte lang hatten die de Veres diesen Blick trainiert, ihre nicht ganz so adligen Mitmenschen auf ihre Plätze zu verweisen. Ihre Mutter setzte diese Miene ständig auf, besonders wenn sie den Fleischer verdächtigte, sie mit den Lammkoteletts übers Ohr gehauen zu haben. Was Blicke anging, so wirkte dieser absolut tödlich.
Cheryl Dennis lief darunter dunkelrot an.
»Steh auf und geh nach vorne«, knurrte sie. Anstelle ihrer eigenen weichen Stimme ahmte sie absichtlich die abgehackte Sprechweise ihrer Mutter nach.
Das Mädchen bewegte sich schwerfällig. Olivia gestattete sich ein Lächeln. Selbstverständlich war das Machtmissbrauch, doch rechtfertigte in diesem Fall das Ziel die Methode. Auch manche Klassenkameradinnen hatten es satt, sich von Cheryl herumkommandieren zu lassen.
Olivia glitt elegant auf einen freien Stuhl.
»Und jetzt, Cheryl«, meinte sie kühl, »wo du doch in meiner Anwesenheit so gerne redest, wirst du die Klasse unterrichten. Der heutige Unterricht beginnt auf Seite 144.«
Zum ersten Mal schien die Ruhestörerin unsicher. »Ich soll unterrichten?«, fragte sie und lachte nervös auf. Sie hoffte, jemand würde in ihr Lachen einstimmen und die Lehrerin verhöhnen. So jedenfalls ging es meist für Cheryl aus: ein paar freche Bemerkungen, etwas Abfälliges hinter vorgehaltener Hand und die rituelle Demütigung des Lehrers, der ihr sagen wollte, was sie zu tun und zu lassen habe. Und das hatte sie keinem gestattet.
Entsetzt blickte sie auf ihre Mitschülerinnen. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie sich ohne ihre Gefolgschaft auf einsamem Posten befand. Sie fühlte sich verloren so vor der ganzen Klasse.
»Wir warten«, ertönte Frau MacKenzies schneidende Stimme.
Unsicher, wie sie weiter vorgehen sollte, schlug Cheryl die Seite 124 auf. Vor sich fand sie eine ganze Reihe langer, komplizierter Wörter.
»... Monocarbonsäuren... Fette...« Himmel, das konnte sie unmöglich lesen.
»Ist es zu schwierig für dich?«, erkundigte die Lehrerin sich.
Cheryl blickte aufmüpfig um sich.
»Wenn du gelegentlich im Unterricht auch nur ein bisschen aufpassen würdest, könntest du es lesen«, meinte Olivia kurz angebunden. »Aber du ziehst es vor, dich aufzuspielen und sicherzustellen, dass auch die Schülerinnen, die dem Unterricht folgen möchten, nichts mitbekommen.«
Cheryl wollte sie unterbrechen. »Aber...«
»Unterbrich mich nicht!«, fuhr Olivia sie an.
Cheryl schrak angesichts von Frau MacKenzies giftiger Stimme zurück. »Wenn du dein ganzes Erwachsenenleben entweder beim Arbeitsamt verbringen oder aber auf der Henry Street Feueranzünder verkaufen willst, dann verlasse diese Klasse und komm nicht mehr zurück. Ich werde deinen Eltern ganz genau erklären, weswegen ich dich nicht länger unterrichten möchte. Ich bin mir sicher, dass sie es satt haben, dich bei jedem Schulverweis wieder mit einer neuen Uniform ausstatten zu müssen.«
Angesichts dieses Angriffs wurde Cheryl rot.
»Wenn du aber etwas lernen und in Zukunft deine Chance ergreifen willst, wirst du dich in meiner Klasse benehmen müssen, verstanden?«
»Ja«, murmelte Cheryl.
»Ja, was?«, verlangte Olivia.
»Ja, Frau MacKenzie.«
Olivia stand auf. »Setz dich, Cheryl«, befahl sie nun.
Sie nahm ihren Platz vor der Klasse ein und sah in all die nervösen, ihr zugewandten Gesichter. Es war ein Jammer, dass sie dem Mädchen gegenüber so gemein hatte sein müssen, aber nur so funktionierte es.
Cheryl warf ihr einen rachsüchtigen Blick zu.
»Ich meine das vollkommen ernst, Cheryl«, sagte Olivia, wobei sie jede Silbe betonte. »Vergiss es nicht!«
Als sie nun ihre verblüffte Klasse musterte, spürte sie das Adrenalin in ihrem Körper, genau wie auch nach den Probeaufnahmen. Danke,
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