Geh Ich Auf Meine Hochzeit
Er war so geschliffen, so selbstsicher. Aber man wusste natürlich nie. Manchmal fuhren sogar die geschliffensten Menschen einen Karren in den Dreck...
Die kleine rote Lampe des Anrufbeantworters blinkte hektisch, als Olivia und Sasha am Abend in die Wohnung zurückkehrten. Sasha war von dem aufregenden Nachmittag hei den Löwen, den Schimpansen und einem jungen Zicklein und der anschließenden Mahlzeit bei McDonald‘s ziemlich fertig und tappte in ihr Zimmer, um ihren geliebten Teddys den neuen Plüschelefanten zu zeigen, den sie im Zooladen bekommen hatte. Ebenso müde und zufrieden streifte Olivia die Jacke ab. Sie wollte erst den Wasserkessel für eine Tasse Tee aufsetzen, ehe sie die Telefonautomatik abhörte. Auf diese Weise hatte sie immerhin etwas Heißes und Süßes in der Hand, an das sie sich klammern konnte, als sie Stephens gereizte Stimme vernahm: »Was ist eigentlich los, Olivia? Ich habe gerade eine Nachricht von meinem Vater erhalten. Er will mich dringend sprechen, es soll ein Problem mit dir geben. Was, in aller Welt, ist passiert?« Um halb fünf hatte er angerufen. Die zweite Nachricht, die er um halb sechs, wenige Minuten vor Olivias Rückkehr, hinterlassen hatte, klang wesentlich präziser: »Mein Vater erzählt mir, dass du ein verdammter Fernsehstar bist. Ich kann es einfach nicht glauben!«, grollte er. »Hat er es missverstanden? Ich hätte nicht gedacht, dass mein Alter mal den Verstand verlieren würde, doch offenbar ist das der Fall. Ruf mich zurück. Ich meine, ich sitze hier und versuche mir einen Reim auf die Sache zu machen und...«
Abgeschnitten zu werden, hinderte Stephen nicht, noch einmal anzurufen. Zwei Minuten später fuhr er im selben Tonfall fort.
Olivia umklammerte ihre Tasse und brachte ihn zum Schweigen, indem sie die Löschtaste drückte. Er wusste Bescheid. Himmel, er wusste Bescheid! Und hatte es auf die allerschlimmste Art und Weise erfahren. Er würde sie umbringen, schlichtweg erwürgen. Niemand hasste Demütigungen mehr als Stephen. Und wenn sein Vater ihn über den Fernsehauftritt seiner Frau informierte, bevor er selbst im Bilde war, so empfand er das ganz bestimmt als demütigend. Warum nur hatte sie nicht daran gedacht, dass jemand aus Stephens Umfeld die Sendung mitbekäme? Wie hatte sie nur so verdammt dumm sein können?
Weil du sehr von dir selbst eingenommen warst, deswegen, meldete sich eine Stimme in ihrem Hinterkopf. »Hochmut kommt vor dem Fall!«, wie ihre Mutter es häufig puritanisch zitierte. Sie hatte es jedoch nur während jener Jahre gesagt, als sich Olivias Schönheit entfaltete. Nie hatte sie das Sprichwort auf sich selbst angewandt.
Wie gebannt starrte Olivia den Hörer an und wartete darauf, dass es jeden Augenblick laut klingelte und Stephen ihr von Deutschland aus die Hölle heiß machte. Er würde wieder anrufen, dessen war sie sich ganz sicher.
Das schrille Klingeln an der Haustür ließ sie aufschrecken, und sie verschüttete ihren halben Tee auf dem Fußboden. Entsetzt rang sie nach Luft. Stephen konnte es nicht sein. So schnell hätte er keinen Rückflug bekommen. Vorsichtig öffnete sie die Tür, als ob sie etwas Schwarzes mit Tuch über dem Kopf und einer tödlichen Mistgabel erwartete, und blickte hinaus.
Hinter einem riesigen Blumenstrauß versteckt stand Gloria, ihre Nachbarin. Gloria war eine rothaarige Stewardess, die alleine lebte und vor Jahren Stephens Unmut auf sich gezogen hatte, als sie eine wilde Party mit Diskomusik aus den siebziger Jahren gefeiert hatte. Aus diesem Grund schaute sie nie vorbei, wenn er zu Hause war.
»Ist der Zeitpunkt günstig?«, hauchte sie mit ihrer Kleinmädchenstimme. Damit wollte sie sich nur erkundigen, ob die Luft rein war, wie Olivia wohl wusste.
»Sehr günstig«, erwiderte sie, ebenso dankbar wie Gloria über die Abwesenheit ihres Mannes. »Komm herein!«
»Dieser Strauß wurde vorhin geliefert«, erläuterte Gloria und reichte ihr das Prachtbukett. »Er ist ein Traum! Hoffentlich bist du nicht unartig gewesen!« Sie kicherte. »Das ist doch eigentlich mein Ressort.«
Gloria ward ohne ihr fachmännisch aufgetragenes Makeup nie gesehen. Es pflegte ihr eigentlich durchschnittliches Äußeres zu verwandeln und sie zu einer Femme fatale in ihrer Aer-Lingus-Uniform zu machen. Gloria war eine unglaubliche Quasselstrippe, wenn man ihr keinen Einhalt gebot.
Normalerweise war Olivia viel zu sehr damit beschäftigt, dreigängige Menüs für Stephen zuzubereiten, um mit Gloria zu plaudern.
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