Geh Ich Auf Meine Hochzeit
Nuance einer Auseinandersetzung. Wenigstens ähnelte Stephen in keinerlei Weise ihren Eltern, dachte sie erleichtert. Er rannte nie sturzbetrunken und blind vor Wut durch das Haus, wie es ihr Vater einige Male in ihrer Kindheit getan hatte. Allein die Erinnerung ließ sie erschaudern. Sie küsste Sashas nach Shampoo duftendes Haar. Gott sei Dank war Stephen überhaupt nicht so!
Die Fahrt nach Ballymoreen wurde ein Horrortrip. Sie steckten in .einer langen Kolonne von Leuten fest, die alle zu Weihnachten zu ihren Familien fuhren und die Autobahn benutzten. Stephens schlechte Laune verschlimmerte sich dadurch noch, und nicht einmal eine komödiantische Radiosendung konnte ihn aufheitern. Olivia saß schweigend neben ihm und sah den Regen gegen die Fenster schlagen, während sie sich unendlich langsam Blessington näherten.
Selbst während der Nachfragen »Hast du auch mein Sowieso nicht vergessen« blieb sie ruhig und gefasst. Dass Stephen, der routinemäßig für wochenlange Reisen packte und dabei nichts vergaß, sich plötzlich in einen Mann verwandeln konnte, der seine Tasche für einen Wochenendausflug zur Familie nicht mehr zu packen wusste, war Olivia ein Rätsel.
Als sie Ballymoreen erreichten, war Sasha auf der Rückbank eingeschlafen. Olivia graute vor dem Augenblick, wo sie vor dem Haus ihrer Eltern vorfahren würden. Stephen hatte Leslie und Sybil noch nie sonderlich leiden können. Einerseits deshalb, weil er wusste, welch schwere Kindheit Olivia ihretwegen gehabt hatte. Sie war das einzige Kind dieser beiden Exzentriker gewesen, die ihre hektischen gesellschaftlichen Aktivitäten als Lebensinhalt betrachteten. Und andererseits auch, weil er ihre wohlhabende englisch-irische Herkunft verachtete.
Ihre Eltern entstammten Familien, die zur Jagd gingen, angelten und der Ansicht waren, dass nur gewöhnliche Leute für ihren Lebensunterhalt arbeiteten. Diese Einstellung nun wirkte auf Stephen wie ein rotes Tuch: denn er war in einem Zuhause groß geworden, in dem man die Arbeitsmoral sehr hoch hielt. Dabei spielte es keine Rolle, dass ihre Eltern bis auf den letzten Pfennig pleite waren, genau wie die lange Reihe ihrer lasterhaften Verwandten, die die Familienvermögen vergeudet hatten. Ihr angegammeltes und dem Zerfall preisgegebenes Haus war vier Mal so groß wie Stephens Zuhause in Navan, einem Bungalow mit spiegelblankem Linoleum, kerzengeraden Gladiolen und nicht einer einzigen Weinflasche.
Ihre Eltern wiederum schätzten Stephen nicht besonders, da er ganz offensichtlich ihren genussfreudigen Lebensstil verachtete und dieses auch jedes Mal zum Ausdruck brachte, wenn ein Familienfest bei den de Veres wieder einmal in das gewohnte Trinkgelage ausartete.
Wie immer würde Olivia den Vermittler spielen müssen.
Stephen lenkte den BMW an der hübschen Steinkirche vorbei, und Olivia konnte nicht anders, als beim Anblick von Ballymoreen plötzlich aufzuatmen. Es sah aus wie in einem Irland-Bilderbuch, und es hätte die perfekte Kulisse für einen Film der vierziger Jahre abgegeben - wenn die Filmleute es nur gefunden hätten.
Es lag etwas versteckt in einer Ecke von Kildare und wurde von keiner der großen, gut befahrbaren Straßen gestreift. Ballymoreen war dank seiner schlechten Erreichbarkeit vollkommen abgeschieden.
Seit ihrer Kindheit schien sich in dem Dörfchen nicht viel verändert zu haben, weder das Postamt, das jetzt lediglich ein kräftiger grüner Streifen aufhellte, noch das anrührende Bürgerkriegsdenkmal im Dorfzentrum, dessen grauer Stein im Winter von Kübeln mit Efeu umsäumt war. Das Dorfleben kreiste um dieses Denkmal und die Holzbänke, die darunter standen. Leute, die gerade aus der Klatschzentrale, Phils Laden nämlich, kamen, hielten kurz inne, um sich mit denen zu unterhalten, die vom Postamt herbeischlenderten.
An Sommerabenden hockte der Nachwuchs dort und erörterte die ewige Frage, die die Jugendlichen von Ballymoreen schon seit jeher diskutierten: nämlich ob sie sich in die Bishop‘s Lounge Bar wagen sollten, um dort einen verbotenen Wodka zu trinken, oder ob sie bereits wieder hinausgeworfen werden würden, noch ehe sie das hell leuchtende Gitter aus Kiefernholz passiert hätten, das die Lounge schmückte.
Am zweiten Feiertag begann um zehn Uhr früh unterhalb des Denkmals die örtliche Jagd. Dann war hier alles voller schnaubender Pferde, die unbedingt losgaloppieren wollten. Heute jedoch zeigte sich der Platz menschenleer, der beißende Dezemberwind und die
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