Geh nicht einsam in die Nacht
und starrte nur mit leeren Augen in den Garten hinaus. Als ich an ihm vorbeiging, drehte er sich zu mir um und fragte: »Hast du denn gar keinen Hunger, sollen wir nicht zum Männynlatva gehen und ein Steak essen?« Seine Stimme hatte müde und entschuldigend geklungen, und ich hatte seine Frage nicht beantwortet, sondern war in mein Zimmer zurückgekehrt und hatte gewartet, bis ich ihn sein Jackett vom Kleiderbügel im Flur nehmen und die Wohnungstür ins Schloss fallen hörte, und erst danach hatte ich ein paar Kleider und Bücher in einer Umhängetasche zusammengerafft, war zur S-Bahn-Station gegangen und hatte den Zug in die Stadt genommen.
All das und vieles mehr erzählte ich Eva Mansnerus, und obwohl ich es anders in Erinnerung habe, war ich wahrscheinlich ab und zu einigermaßen gerührt, gerührt und verbittert. Eva hat immer behauptet, dass meine Stimme mehrmals versagte und ich sogar weinte. Ich selbst erinnere mich nicht an Tränen, dagegen weiß ich noch, dass Eva von ihrem Platz aufstand, zu mir kam, sich auf meinen Schoß setzte, dort lange sitzen blieb und mir übers Haar strich. Als sie dort saß, spürte ich – der ich sonst nie geil werde, wenn ich wütend oder traurig bin –, dass ich wieder Lust auf sie bekam. Ich redete immer noch über den traurigen Tag, an dem ich Tallinge für immer verließ, aber gleichzeitig nahm mein Schwanz Kurs auf Evas Po und wurde langsam steif. Eva sprang mit einem bestürzten Gesichtsausdruck aus meinem Schoß.
»Entschuldige«, sagte ich schnell, »aber so schlimm ist es ja nun auch wieder nicht, wir haben doch vor weniger als einer Stunde miteinander gevögelt.«
»Neinneinnein«, stammelte Eva, »es geht um etwas anderes! Ich hab’s erst nicht kapiert, aber … du und ich, wir müssen verwandt sein!«
»Nie und nimmer«, erwiderte ich und starrte sie verständnislos an. »Wovon redest du?«
»Davon, dass Ariel Wahl ein Verwandter von uns war … von mir. Ich bin nicht gleich darauf gekommen, weil wir zu Hause nie darüber gesprochen haben. Aber Addi meinte das mal. Und nach Addis Beerdigung hat Mama dasselbe gesagt, so ungefähr, nun seien schon zwei aus der Familie viel zu jung gestorben.«
Jetzt reagierte ich ungläubig: »Das soll ja wohl ein Witz sein. Verdammt, das muss ein Witz sein!«
Aber Eva war blass geworden. Gleichzeitig brannten zwei kleine rote Flecken auf ihren Wangen. Ich begriff, dass sie es ernst meinte: eine weitere Kehrtwende in dem absurden Schauspiel, das sich als mein Leben ausgab.
»Das ist ja wie in einem verdammten Film!«, sagte ich. »Das heißt, wenn wir heute ein Kind gezeugt haben, bekommt es sieben Zehen pro Fuß oder ein zusätzliches Auge auf der Stirn oder so?«
Sie starrte mich an und schaute dann voller Abscheu weg. Es waren Momente wie dieser, in denen der Altersunterschied zwischen Eva und mir offenbar wurde. Ich hatte einen bedingten Reflex; wenn eine Situation zu ernst oder seelisch zu intim wurde, versuchte ich, sie mit einem Scherz zu überspielen. Und begriff nicht, wie dumm und plump meine vermeintlich spaßigen Bemerkungen manchmal in Evas Ohren klangen. Sie hatte es bereits angesprochen, als sie noch mit Pete Everi zusammen war, und würde gezwungen sein, auch in den folgenden Jahren darauf zurückzukommen. Es kommt mir so vor, als würdest du mir eine Schnute ziehen, mir die Zunge herausstrecken oder so. Vielleicht ging es nicht nur um unser Alter, sondern auch um einen Unterschied in Temperament und Lebenshaltung, ich weiß es nicht. Musst du eigentlich immer so ernst und empfindlich sein , pflegte ich zu erwidern.
Diesmal hielt ich jedoch nicht dagegen. Ich ging in die kleine Küche, wo Eva unsere Kaffeetassen spülte. Sie wirkte verbissen, und ich legte meine Arme um ihre Taille und sagte: »Entschuldige!« Es war ein gutes Gefühl, das zu sagen. Ich nahm das Wort nicht oft in den Mund, denn wenn jemand wütend auf mich wurde, reagierte ich in der Regel noch wütender.
Eva und ich öffneten eine Flasche Wein und unterhielten uns den ganzen Abend, fast bis Mitternacht. Wir sprachen ruhig und ernst, und ich machte keinen einzigen schlechten Scherz. Wir berührten unsere Hände über dem Tisch, aber die erotische Spannung war verschwunden. Irgendwann sagte Eva nachdenklich: »Seit du anfingst, mit Pete und mir herumzuhängen, hatte ich das Gefühl, dass zwischen dir und mir etwas Besonderes war. Ich habe nie begriffen, warum ich dich so sehr mochte, du warst doch nur ein Kind. Oder wieso wir uns so gut
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