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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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gewesen. Nach dem schrecklichen Unfall auf Aspholm war ihr Mund dann jedoch endgültig versiegelt gewesen. Ich wusste zudem, dass Adriana über ihre Jugendjahre ebenso den Mantel des Schweigens gebreitet hatte wie Eva über den Tod ihrer Schwester. Trotzdem wollte ich ihr Fragen stellen, denn wenn Eva etwas über Ariel wusste, wollte ich es auch wissen. Aber es gab etwas, was mich zurückhielt: die Lust darauf, mit Eva zu schlafen, und die Angst davor, meine Chancen zu verspielen. Wenn Eva und ich anfingen, in schwierigen Angelegenheiten zu stochern, und schwerwiegende Enthüllungen auftauchten, bestand die Gefahr, dass wir anschließend in tiefschürfenden Gesprächen hängen blieben. Ich war nicht mehr der ahnungslose Welpe aus den Tagen in Svartviken, ich wusste mittlerweile, dass die Lust der Frauen manchmal auf verschlungenen Wegen unterwegs war und sie oft aus dem Konzept kamen, wenn sie abgelenkt wurden. Also schwieg ich, denn ich wollte nicht noch einmal wie ein Bettler der Liebe vor Eva Mansnerus stehen.
    Es lief, wie ich es wollte, sowohl bei unserer ersten Begegnung als auch bei der nächsten, ich redete möglichst wenig und wurde durch Sex belohnt. Unser zweites Treffen fand bei Eva statt: Entweder war es ihr gelungen, in weniger als einer Woche alle Joaquín-Dämonen aus der Wohnung zu vertreiben, oder meine notdürftig eingerichtete Bleibe in Näshöjden hatte sie gründlich abgeschreckt. Diesmal, als Eva und ich gekommen waren und wir rauchend nebeneinanderlagen und sich die Mattigkeit wie Wärme im Körper ausbreitete, erzählte ich ihr alles.
    Anfangs musste Eva sich mehrfach vergewissern, dass ich keinen Witz machte, dass die Geschichte von mir und Ariel Wahl kein verdrehtes Ammenmärchen war, keine meiner Fantasie entsprungene Missgeburt. Nach einer Weile verschwand sie im Badezimmer, und ich hörte, dass sie den Duschhahn aufdrehte, woraufhin es eine ganze Weile plätscherte und klapperte. Als sie zurückkam, nackt bis auf ein Handtuch, das sie wie einen Turban um den Kopf geschlungen hatte, sagte sie immer noch: »Du lügst! Du willst bloß testen, was für verrückte Geschichten du mir einreden kannst!« Als ich jedoch beharrlich an meiner Geschichte festhielt und allmählich sogar wütend wurde, folgte eine Phase, in der Eva nur schwieg und zuhörte. Sie saß nur im Slip auf einem Küchenstuhl, und auf der anderen Seite des Tisches saß ich und versuchte, ihr alle mir bekannten Details zu schildern – an jenem Nachmittag musste ich einsehen, dass ich im Grunde herzlich wenig wusste –, und von Zeit zu Zeit schüttelte sie den Kopf und murmelte »Das kann doch verdammt nochmal nicht wahr sein!« und ähnliche Dinge. Und es tat so gut, endlich einmal alles erzählen zu dürfen, dass ich sogar zu dem Moment zurückkehrte, in dem ich es erfuhr: Ich beschrieb jenen Junitag, an dem ich Henrys Arbeitszimmer in einem Zustand völliger Verwirrung verlassen hatte. Ich erzählte ihr, dass meine letzte Frage an Henry gelautet hatte, ob Ariel Wahl von seiner Vaterschaft gewusst habe, was Henry bejahte, ich beschrieb, wie ich aufgestanden und gegangen war und mir unsere geräumige Wohnung im Tannervägen leerer und eigenartiger vorgekommen war als je zuvor, wie die entsorgte Dekoration zu einem abgesetzten Theaterstück, und ich erzählte ihr, wie ich in mein Zimmer gegangen war und mich aufs Bett gelegt und sich in meinem Kopf alles gedreht hatte, so dass ich eine Plastikschüssel aus dem Badezimmer geholt und hineingekotzt hatte, zwei Mal, und dass ich anschließend in eine Art Halbschlaf gefallen war und seltsame Alpträume durchlebt hatte, in denen alle auftauchten, Leeni, Henry, Eva, Adriana und ein singendes Monster mit Haaren wie blonde Wattebäusche und einem Hemd mit bunten Puffärmeln, und in meinem Traum waren diese Puffärmel plötzlich angeschwollen und unförmig groß geworden, sie waren immer weiter angeschwollen, und bald darauf hatten die Puffärmel Ariel Wahl in einen orangenen Ballon verwandelt, der vom Erdboden abhob und über Häuserdächern und Baumwipfeln davonflog, in die Stratosphäre und weiter bis zum Mond und zur Sonne, und schließlich war ich aus meinem verschwitzten Schlummer erwacht, hatte das Erbrochene in die Toilette geschüttet und war zur Küche gegangen, um etwas zu trinken, und im Wohnzimmer hatte mucksmäuschenstill Henry gesessen, und es hatte den Anschein gehabt, als hätte er stundenlang in derselben Position verharrt, der Fernseher lief, aber er schaute nicht hin

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