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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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verstanden, fast wie Geschwister. Aber jetzt … stell dir vor, es liegt daran?«
    Ihre Worte, als höchstes Lob gemeint, enttäuschten mich maßlos. In meinem Inneren wurde es vollkommen schwarz, und ich machte mir erst gar nicht die Mühe, es zu verbergen. Zum ersten Mal sah ich mich mit dem konfrontiert, was bei manchen Frauen ein blinder Fleck zu sein scheint: Sie erwarten, dass der Mann sich freut, wenn sie ihm erzählen, er sei wie ein Bruder für sie. Sollte der Mann diese Frau auch nur ein bisschen begehren, kann er den Stachel der Enttäuschung in seiner Seele nicht leugnen, einen Stachel, den er gemäß Sitte und Erziehung verbergen muss. Und wenn er die Frau wirklich begehrt, ist die Enttäuschung kein Stachel, sondern ein Schwert, das seine Brust durchbohrt. Eva sah, dass ich traurig wurde, stand wieder von ihrem Stuhl auf, kam zu mir, setzte sich auf meinen Schoß und murmelte: »Du weißt, was ich meine.« Aber das wusste ich nicht. Ich wollte es nicht wissen. Wir küssten uns wieder auf den Mund, aber es war ein anderer Kuss als die Küsse vor ein paar Stunden, denn dieser neue sagte: »Ich mag dich, will aber nichts.«
    Von unserer langen Unterhaltung an jenem Abend ist mir noch etwas anderes in Erinnerung geblieben. Ich gab zu, dass ich Leeni und Henry immer noch aus dem Weg ging, dass sie sich immer bei mir meldeten und es nie umgekehrt war. Wenn sie nichts von sich hören ließen, verging manchmal ein halbes Jahr oder noch mehr Zeit, ohne dass ich sie sah. Eva gefiel das nicht, sie meinte: »Du behandelst sie grausam. Sie sind gute Menschen, die versucht haben, für dich da zu sein, so viel sie nur konnten. Ich finde, du solltest mit ihnen sprechen.«
    In der Abenddämmerung in Evas Wohnung weigerte ich mich, mir ihre Worte zu Herzen zu nehmen, ich fand, dass sie viel zu streng mit mir war.
    * * *
    Eva und ich verabredeten uns weiter in diesem Frühjahr, schliefen in den folgenden Monaten aber nicht mehr miteinander. Wenn wir uns trafen und wenn wir uns trennten, küssten wir uns flüchtig auf den Mund, und wir tranken keinen Wein bei ihr oder mir, sondern gingen ins Kino oder eine Pizza essen oder in Clubs. Einmal machte ich einen Versuch, es war Nacht, und wir wollten uns trennen, und ich schob meine Zunge in ihren Mund, als wir uns küssten, und schloss gleichzeitig die Arme um sie. Eva ließ mich kurz gewähren, und ich hatte sogar das Gefühl, dass sie den Kuss erwiderte, aber dann machte sie sich von mir los, hob resolut meine Arme fort und sagte: »Nicht jetzt, ich brauche Zeit.«
    An einem anderen Abend – wir waren auf einem Blueskonzert im Tavastia, Little Jimmie Rutherford & The Earlybirds – verlor ich Eva aus den Augen und fand sie erst spätabends wieder, als sie mit ein paar Rockmusikern herumhing, die sie kannte. Sie hatte den Arm um die Taille von einem Sänger gelegt, der sich Lindy nannte, und ich beobachtete, wie sie sich ansahen, und begriff, dass sie in dieser Nacht zu ihm nach Hause gehen würden oder schlimmstenfalls zu ihr. Ich verließ das Tavastia und ging über das verwaiste Busfeld und am Tennispalast vorbei zum KY, wo ich eine andere Frau aufriss und nach Näshöjden mitnahm. Sie war genau wie ich auf einen One-Night-Stand aus, war aber romantisch veranlagt und wollte küssen, reden und ein langes Vorspiel haben. Ich war ungeduldig, zog sie aus und nahm sie in dem abgerissenen Lehnstuhl, auf dem sie saß. Später in der Nacht, als wir im Bett lagen, wollte ich noch einmal, aber sie schüttelte nur den Kopf, blieb mit dem Rücken zu mir auf der Seite liegen und ging irgendwann am frühen Morgen.
    Am Vormittag wurde ich davon geweckt, dass es klingelte. Ich war allein im Bett und glaubte, mein nächtlicher Gast hätte etwas vergessen. Ich ging zur Tür und öffnete nur in der Unterhose. Es war Eva. Sie streckte mir ein kleines, flaches Paket entgegen. »Entschuldigung«, sagte sie, »für gestern Abend, meine ich.« »Das macht doch nichts«, erwiderte ich. »Komm rein.« Ich versuchte, wach und nüchtern zu klingen, aber meine Stimme brachte nur ein Krächzen heraus. »Nee«, sagte Eva, »heute nicht. Ich wollte nur, dass du das hier bekommst.« »Aber wenn du schon einmal hier bist …«, versuchte ich es. Aber Eva schüttelte nur den Kopf, umarmte mich hastig und hauchzart, machte auf dem Absatz kehrt und ging. Ich zog die Tür zu, ging in die Wohnung, setzte Wasser auf und machte mir eine Tasse pechschwarzen Pulverkaffee. Erst danach riss ich das Paket auf, es

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