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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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da es mitten im Sommer war, blieb es trotzdem ziemlich hell. Er fiel Leeni ins Auge, als sie am Küchentisch saß und rauchte. Er starrte sie direkt an, wusste sogar, welches Fenster unseres war.«
    Henry verstummte und warf mir einen kurzen Blick zu, als hätte er neue Hoffnung geschöpft, Hoffnung darauf, dass er einen Punkt erreicht hatte, an dem ich mich mit dem begnügen würde, was ich erfahren hatte.
    »Ja, und? Was ist dann passiert?«
    »Ich bin auf die Straße hinuntergegangen. Als Wahl mich gesehen hat, ist er sofort verschwunden, und als ich ihm hinterherrief, rannte er los. Ich holte ihn ein. Ich war damals ein Sportler, ich hatte noch keinen Bauch, und Ariel Wahl war beim besten Willen kein Athlet. Er hatte einen Körper wie eine Fliege.« Henry zeigte auf mich und fügte hinzu: »Na ja, du bist ja auch hager, aber das hast du von Leeni, so ausgemergelt wie Wahl bist du nun doch nicht.«
    »Was hast du ihm gesagt?«, fragte ich.
    »Ich bin ziemlich heftig geworden«, gestand Henry. »Körperlich hatte ich natürlich keine Angst vor ihm, aber ich befürchtete, er könnte in der Stadt das Maul aufreißen. Außerdem hatte ich Angst, dass er sich um Rechtliches streiten, eine Blutprobe fordern würde und so. Deine Mutter und ich hatten uns große Mühe gegeben, alles geheim zu halten. Und ich hatte einiges über mich ergehen lassen müssen. Zum Beispiel Railis Schimpftiraden, weil ich ihrer feinen Tochter einen dicken Bauch gemacht hatte, obwohl ich fast zehn Jahre älter war als sie und es hätte besser wissen müssen.« Henry machte eine kurze Pause, als zögerte er weiterzusprechen, und ergänzte: »Außerdem hatte ich ehrlich gesagt auch ein bisschen Bammel vor einigen Freunden Wahls.«
    Er verstummte erneut und begann, wie wild zu winken, um die Aufmerksamkeit der Kellnerin auf sich zu lenken.
    »Wir nehmen doch noch einen Schluck Whisky, wenn wir schon einmal zusammensitzen?«
    Ich nickte, erkannte jedoch, dass der »Schluck Whisky« ein weiteres Ausweichmanöver Henrys war.
    »Sprich weiter, Pap… Ich will nicht, dass du mir etwas verschweigst.«
    »Wie du willst«, erwiderte Henry. »Aber dann lass mich zunächst Folgendes sagen: Wahl war völlig ungefährlich. Er war ein bisschen seltsam, er stotterte, und Leeni meinte, wenn er wirklich mal etwas herausbrachte, blieben seine Worte für andere oft unverständlich. Aber er war lammfromm. Manche seiner Freunde dagegen … ich kannte sie nicht, ich war ja viel älter. Und Leeni bewegte sich auch nicht in diesen Kreisen, die Schwestern Flinck galten als etwas etepetete. Aber sie wusste , wer diese Typen waren, und das reichte. Sie hatte Angst vor ihnen, vor Suhonen und Hurme und wie sie alle hießen. Ein paar von ihnen sind dann später in Schweden gestorben, sie gingen dort vor die Hunde. Der eine, Hurme, starb im selben Herbst wie Wahl. Damals fragten sich viele, ob die beiden Fälle zusammenhingen, weil sie in einem Abstand von nur zwei Wochen verschwanden. Aber das hast du wahrscheinlich gelesen, nicht?«
    »Nein«, antwortete ich und schämte mich auf einmal, weil ich es nicht getan hatte. »Noch nicht.«
    »Ich glaube, dieser Jouni Manner versuchte damals, der Sache auf den Grund zu gehen«, erklärte Henry. »Er saß noch nicht im Parlament, er fuhr als Journalist nach Schweden. Ansonsten soll er als junger Mann auch so ein verdammtes Gangmitglied gewesen sein, obwohl er sich heute so ungeheuer respektabel gibt.«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ich das alles verstehe«, sagte ich. »Willst du mir sagen, dass Wahl … dass mein Alter ein Verbrecher war?«
    »Das wäre zu viel gesagt«, versuchte Henry abzuwiegeln. »Wenn er überhaupt etwas war, dann ein kleiner Dealer, eine ängstliche Gestalt, die behilflich war, weil sie sich nichts anderes traute. Aber diese anderen … Hurme zum Beispiel, mit dem war wirklich nicht zu spaßen.«
    Henry sah mich nervös an, vielleicht fürchtete er, dass ich der Meinung sein könnte, er würde meinen Vater verleumden. Als ich stumm blieb, setzte er zu einem neuen Versuch an, ein nuancierteres Bild zu zeichnen:
    »Wahl hatte doch seine Musik, Leeni hat jedenfalls immer behauptet, er sei begabt gewesen. Aber als das zu nichts führte … kein Beruf, keine Beziehungen, nichts. Es passierte schnell, dass einer abstürzte, Helsingfors war damals eine harte Stadt.«
    »Du hast nicht erzählt, was du ihm gesagt hast, als du ihn auf der Straße erwischt hast.«
    »Ich habe ihm bloß gesagt, dass ich ihm die Fresse

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