Geh nicht einsam in die Nacht
hatte ein Band mit einer Schleife und allem wie ein echtes Geschenk. Ich hatte richtig geraten: Älä käy yöhön yksin/Hiljaisuuden äänet, Joni, Ariel & Adriana, SNV 379. Als ich die A-Seite hörte, merkte ich, dass mir das Lied meines Vaters diesmal wesentlich besser gefiel als damals bei Aka Lindberg, Gleichzeitig war ich wahnsinnig wütend auf Ariel. Nicht genug, dass er gestorben war, jetzt hatte er mich auch noch der Frau meines Lebens beraubt. Ich griff nach der anspruchslosen Hülle und starrte den kleinen Mann streng an, der in seinem grotesken Puffärmelhemd auf einem Bein stand. Dabei fiel mir die säuberliche Aufschrift in dem hellen Feld auf, das hinter den drei Künstlern vom Meer gebildet wurde: Für Mama und Papa von Addi . Dann folgte ihr Namenszug, und darunter gab es zwei Kritzeleien, die nichts anderes sein konnten als die Unterschriften Jouni Manners und Ariel Wahls.
3
ICH HÄTTE NICHT GEDACHT , dass es so kommen würde, ich hatte mir wohl eingebildet, dass es einfacher sein würde, mit Leeni zu sprechen. Aber am Ende war es Henry, mit dem ich das erste Gespräch über Ariel führte.
Es war kurz vor Mittsommer, und Henry hatte auf einem Essen im Restaurant bestanden, bevor die Urlaubszeit begann. Ich wollte im vierten Sommer hintereinander mit Interrail verreisen, aber Henry versuchte immer noch, mir Ratschläge mit auf den Weg zu geben. Er weigerte sich einfach einzusehen, dass ich bereits weitgereister war als er, zumindest wenn es darum ging, ohne festes Ziel und gebuchte Hotels zu reisen. Er selbst war auf dem Sprung zu einem Sommerhaus irgendwo in der ostfinnischen Landschaft Savolax, der Arbeitskollege, dem das Häuschen gehörte, hatte einen Bungalow an der Costa del Sol gekauft, und so konnte Henry das Haus den ganzen Juli über mieten. Ich ging davon aus, dass Henry diese Juliwochen nicht alleine verbringen würde. Es gab deutliche Indizien dafür, dass Henry und Leeni neue Lebensgefährten gefunden hatten, aber keiner von ihnen hatte mir bisher jemanden vorgestellt. Henrys Fall war eindeutig. Ich hatte im Winter zwei Mal in seiner Wohnung vorbeigeschaut, und sie war nicht mehr schmutzig. Alles war sauber und ordentlich, der Spüllappen war neu, und in den Fenstern war Nippes aufgetaucht, Kerzenständer und Glasvögel und Ähnliches. In Leenis Fall waren die Anzeichen schwächer, aber ich hatte ein Paar großkarierte Herrenstrümpfe auf ihrer Wäscheleine gesehen, und man musste Leeni nur flüchtig kennen, um zu wissen, dass sie sich lieber die Zehen amputieren lassen würde, als solche Strümpfe anzuziehen.
Henry und ich trafen uns im Tölöstrand. Es war eines seiner Lieblingsrestaurants, in dem er sich seit den sechziger Jahren zu Geschäftsessen verabredete. Wir nahmen beide einen Aperitif, tranken Wein zum Essen und bestellten Cognac zum Kaffee, und vielleicht kann ich mich deshalb nicht erinnern, wie wir auf die Vergangenheit und mit der Zeit auch auf Ariel zu sprechen kamen. Plötzlich waren wir jedenfalls beim Thema, und ich hörte mich fragen: »Aber wenn er nun von mir wusste, wie konnte er dann einfach alles zurücklassen. Hat er denn nie versucht … ist er niemals bei uns aufgekreuzt?«
Henry betrachtete mich forschend, und sekundenlang lag ein müder und widerwilliger Ausdruck in seinen Augen, als würde er abwägen, ob er noch die Flucht antreten könnte.
»Das ist er«, sagte er schließlich. »Aber nicht oft. Nur zwei Mal.«
Henry wich meinem Blick aus und schaute aus dem Fenster. Vielleicht hoffte er, dass ich mich mit dieser Antwort zufriedengeben würde. Aber ich wartete, bis er mich wieder ansah, und warf ihm einen auffordernden Blick zu. Das reichte. Henry seufzte kurz und sprach weiter:
»Beim ersten Mal warst du gerade einmal zwei Jahre alt. Es war das einzige Mal, dass er uns, nun ja, heimsuchte oder wie man es nennen will. Wir wohnten damals in der Eriksgatan, Adresse und Telefonnummer standen im Telefonbuch. Es war Sommer, aber wir konnten uns keinen Urlaub leisten, Leeni studierte ja noch, und wir waren knapp bei Kasse. An den Wochenenden fuhren wir nach Mattby hinaus, aber ansonsten blieben wir in der Stadt. Im Frühling hatten wir ein paar mysteriöse Anrufe bekommen, du weißt schon, wenn am anderen Ende der Leitung nur jemand atmet und irgendwann auflegt. Also waren wir nicht völlig unvorbereitet. Und dann stand er eines Abends plötzlich unten auf der Straße, vor dem Milchgeschäft im Haus gegenüber. Ich glaube, es war fast Mitternacht, aber
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