Geh nicht einsam in die Nacht
Wangen runder waren als früher und ihre Brüste unter der Bluse schwerer, und mir trat vor Augen, wie sie an der Straßenecke gestanden und ihr Bauch sich ein wenig vorgewölbt hatte.
7
EVA MANSNERUS’ TOCHTER Nadia kam im kalten Winter 1987 zur Welt, nach einem Januar, in dem das Thermometer Tag und Nacht minus dreißig Grad angezeigt hatte.
Auch Frühjahr und Sommer waren kühl. Es war ein Eiszeitjahr, man zog sich ins Dunkel zurück, zündete den Kamin an, wärmte seine steifgefrorenen Glieder und cremte seine aufgesprungenen Fingerknöchel ein.
Im Frühjahr gingen Eva und ich bereits rund um die Tölöviken spazieren. Wir waren wieder Freunde, sie rief mich jeden Samstag oder Sonntag an, und dann kam sie aus dem Stadtteil Kronohagen, während ich die wenigen Häuserblocks von der Döbelnsgatan zur Finlandia-Halle hinunterging. Die Kälte wollte nicht nachlassen, das Eis brach erst Mitte Mai. Immer wieder, Runde um Runde, gingen wir um die zugefrorene Meeresbucht herum. Ich weiß nicht, warum wir niemals abwichen und einen anderen Weg einschlugen, zum Beispiel am Wintergarten vorbei zur Djurgårdsviken. Vielleicht brauchten wir die Sicherheit einer gewohnten Route, weil alles andere im Leben so provisorisch und improvisiert wirkte.
Wir schoben abwechselnd den Kinderwagen, aber auf dem langen Anstieg zu den Holzvillen in Fågelsången übernahm ich diese Aufgabe. Ich betrachtete Nadia, die unter ihren Decken schlief. Nadia war ein richtiger Sonnenschein und schrie nur selten. Die meiste Zeit lag sie da, wirkte zufrieden und ließ die Herzen der Menschen schmelzen. Ich erkannte, dass Säuglinge tatsächlich süß waren, es war leicht zu verstehen, warum sich alle Mütter und Väter so hoffnungslos verliebten. Das schlafende Gesicht, das von dem Häubchen und der Mütze mit Pelzrand umrahmt wurde, die glatten, runden Wangen, die kleine Stupsnase, die mich an eine Steckdose denken ließ, die winzig kleinen Hände und Füße, die sich einem eigenen Willen, nicht dem des Kindes folgend bewegten: Es bedurfte einer Windelladung säuerlich riechenden, senffarbigen Kots, um mich aus den bittersüßen Gedanken über die Launenhaftigkeit des Lebens zu wecken, die Nadia in mir auslöste.
Wenn ich den Kinderwagen schob, tat ich manchmal so, als wäre Nadia mein Kind, mit meinen Genen. Dies setzte voraus, dass ich zunächst die Gesetze der Biologie leugnete. Wenn ich ihr Vater gewesen wäre, hätte Evas Schwangerschaft fast elf Monate gedauert. Außerdem hätte bei jenem letzten Mal, als ich zu schnell kam, eine meiner Samenzellen dennoch auf mirakulöse Art den Weg in sie hineinfinden müssen.
In der tristen Wirklichkeit war Nadia die Tochter des Sängers Lindy alias Leevi Hongisto von The Mellowboys. Und die Wirklichkeit war nicht nur trist, sondern auch unbarmherzig. Wenn ich von Nadias Geburtsdatum aus neun Monate zurückrechnete – sie wurde am 4. Februar geboren, am selben Tag wie Jouni Manner –, landete ich in der Nähe jenes Maitags, an dem Eva und ich in einer Felsspalte gelegen und Wein getrunken hatten und ich mich vor dem Gedanken einer Europareise mit ihr gefürchtet hatte. Wir hatten uns am Nachmittag getroffen. Möglicherweise war sie direkt von einem mittäglichen Schäferstündchen gekommen, bei dem Lindy sie geschwängert hatte. War vielleicht eine Horde von Spermazellen zum wartenden Ei geschwommen, als ich die hellen Flaumhaare und die Schweißperlen auf ihrem sonnengebräunten Bauch betrachtete? Oder hatte sie nach unserer Trennung an der Ecke Mechelingatan und Sanduddsgatan die Straßenbahn zu Lindy genommen und sich ihm aus Enttäuschung über meine laue Reaktion auf ihren Vorschlag hingegeben?
Eva und Lindy hatten eine Abmachung getroffen. Lindy hatte die Vaterschaft anerkannt, und im Gegenzug hatte Eva ihm versprochen, weder finanzielle noch andere Forderungen an ihn zu stellen. Lindy hatte Eva klargemacht, dass er kein Interesse daran hatte, Verantwortung für das Kind zu übernehmen, er wollte keinesfalls die Vaterrolle übernehmen, und falls Eva versuchen sollte, ihn unter Druck zu setzen, würde er sich ins Ausland absetzen. Er könne, hatte er erklärt, Eva natürlich nicht zu einer Abtreibung zwingen, aber er wolle auch nicht so tun, als sei er ein anderer Mensch oder als wolle er ein anderes Leben führen als das Leben eines Rocksängers und Songwriters und Poeten. Als Eva mir davon erzählte, war ich verblüfft, dass jemand sie – die anbetungswürdige Eva Mansnerus – so behandeln
Weitere Kostenlose Bücher