Geh nicht einsam in die Nacht
konnte. Und ich konnte mir den Gedanken nicht ersparen, dass Lindy vielleicht gerade deshalb so lange mit Eva hatte schlafen dürfen, weil er sie so rücksichtslos behandelte und seine Indolenz sie scharf machte. Aber ich verdrängte den Gedanken, er war zu schmerzhaft.
Eva schien das, was passiert war, dagegen eigenartig wenig auszumachen. Sie sei fast neunundzwanzig, erklärte sie, und eigentlich wolle sie weiter studieren, sich forschend mit dem Übergang der italienischen Spätrenaissance zum Barock beschäftigen. Aber ihre Aussichten auf eine Karriere waren begrenzt, sie hielt sich mit Kunstkritiken und Aushilfslehrerstellen über Wasser, bei denen sie versuchte, desinteressierten Jugendlichen die Augen für die dunklen Fäden der Geschichte zu öffnen, damit sie Lehren aus ihr zogen. In ihrem Leben scheine ihr nichts besondere Eile zu haben, erläuterte Eva, aber sie habe immer gewusst, dass sie Kinder haben wolle, sie möge Kinder lieber als Männer und habe sich entschlossen, jetzt ein Kind zu bekommen. Was zur Folge hatte, dass sie und ich abwechselnd Nadias Kinderwagen durch den Park schoben, während Lindy Hongisto mit The Mellowboys durch Europa tourte: ihr Put Me Out Of My Misery war damals ein großer Hit, der nicht nur Finnland eroberte, sondern auch in Schweden und Deutschland in den Hitlisten stand. Lindy hatte den Song geschrieben und strich sämtliche Einnahmen ein, Unterhaltszahlungen blieben für Eva und Nadia allerdings ein Fremdwort.
Bei einem unserer Spaziergänge fragte Eva mich, ob ich Nadias Patenonkel werden wolle. Als Patentante war Jinx Muhrman vorgesehen, die ihren Sohn Jonatan so bekommen hatte wie Eva ihre Nadia, ohne dass ein Mann über das Nötigste hinaus beteiligt gewesen wäre. Ich spürte Enttäuschung an mir nagen. Die Dinge hatten sich nicht so entwickelt, wie ich es mir vorgestellt und erhofft hatte. Ich nahm all meinen Mut zusammen, um zu antworten, dass ich als Pate nicht geeignet war und es besser wäre, wenn sie einen anderen nähme. Dann hörte ich meine Stimme sagen:
»Sicher, kann ich machen.«
* * *
Jouni Manner kam auch diesmal nicht ins Parlament, 900 Stimmen fehlten ihm zur Wahl. Das überraschte ihn genauso wie viele andere. Er führte einen mittelmäßigen Wahlkampf, wirkte unsicher, regelrecht desinteressiert. Die Gründe dafür blieben den meisten verborgen. Die Krisen seiner Mutter und seines Bruders waren den Winter über weitergegangen, Elina überwand ihren Brustkrebs erst lange nach der Wahl, und Oskari bekam sein Alkoholproblem gar nicht in den Griff.
Eine andere Ursache für seinen Misserfolg war der Parteiwechsel. Es war das erste Mal, dass der frühere Sozialdemokrat Manner für die Nationale Sammlung kandidierte, und viele seiner früheren Wähler fühlten sich hintergangen. Manners Kommentar lautete: »Die Wähler sind mir diesmal nicht gefolgt, beim nächsten Mal werden sie es tun!« Für seine neue Partei war es dagegen eine gute Wahl, man errang einen großen Sieg und durfte zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder die Regierung bilden.
Eine knappe Woche vor der Wahl veröffentlichte Pete Everi einen kritischen Artikel über Manner, der großes Aufsehen erregte. Er erschien in einem der wichtigsten Blätter der Linken, und die Schlagzeile lautete Das Wunderkind, das zum Wendehals wurde . In all seinen Rollen, schrieb Pete, habe Jouni Manner nach dem Prinzip gehandelt, sein Mäntelchen nach dem Wind zu hängen. Bei KYVYT habe er sich für einen plakativen und populistischen Kurs entschieden und die Aufbauarbeit zerstört, die von kühnen und kenntnisreichen Journalisten geleistet worden sei, und als Politiker habe er den verzweifelten Versuch unternommen, sich die Vorliebe der achtziger Jahre für Geldgier und Glamour auf die Fahnen zu schreiben. Manner habe, schloss Pete, Hochverrat an der Arbeiterbewegung begangen, die ihn aufgezogen und ihm alle Chancen gegeben habe.
Als dem aggressiv geschriebenen Artikel wenige Tage nach der Wahl ein kurzer und schadenfroher Kommentar folgte, stellte ein bedrückter Manner Petes Handeln zur Diskussion. Manner wusste, dass Pete und ich Jugendfreunde waren, und ich hatte ihm erzählt, dass Pete und ich uns seit neuestem wieder sahen. Außerdem erinnerte sich Manner an seine eigenen geschäftlichen Kontakte zu Pete.
»Nachdem ich die Stelle angetreten hatte, schrieb er ein paar Sachen für uns. Ich erbte ihn, er hatte von der ersten Nummer an für KYVYT geschrieben. Aber es funktionierte nicht. Der Typ
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