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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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Präsidenten eingeladen worden war und mit ihm sogar alleine zu Mittag gegessen hatte, war ich immer davon ausgegangen, dass er zu Urho Kekkonens Lieblingen gehört hatte und deshalb so früh Minister geworden war. Doch nun überraschte Manner mich damit, das Gegenteil zu behaupten. Kekkonens Tod hatte in Manner die Erinnerung an ein Essen vor achtzehn Jahren wachgerufen, woraufhin er seine vergilbten Gesprächsnotizen herausgesucht – er hatte sie bereits am Abend nach dem Essen verfasst und alles schriftlich festzuhalten versucht, was gesagt worden war – und über ihren Inhalt nachgegrübelt hatte.
    »Ich habe immer gewusst, dass an dem Tag irgendetwas schiefgegangen ist«, erklärte er, als wir auf dem Balkon saßen, Kaffee tranken und Quiches aßen, die Sirpa zubereitet hatte. »Aber ich erinnere mich nur vage an die Details und bin mir nie wirklich sicher gewesen, was genau schiefgelaufen ist.«
    »Wie kannst du dir überhaupt so sicher sein, dass etwas schiefgelaufen ist?«, warf ich ein. »Er hat ja wohl keinen seiner berüchtigten Bannbriefe verschickt? Außerdem hast du doch eine steile Karriere gemacht.«
    Manner lächelte schief und sagte:
    »Du warst damals nicht dabei, Frank. Die Politik verlief in Labyrinthen, und ich … nun ja, sagen wir, dass ich mich in diesen Labyrinthen auskannte. Mir kam einiges zu Ohren. Ich erfuhr, dass es Möglichkeiten gab, Augenblicke, in denen ein noch größerer Aufstieg möglich gewesen wäre, möglich hätte sein müssen. Ich hatte ein breitgefächertes soziales Netz und genoss die Unterstützung vieler einflussreicher Persönlichkeiten.«
    »Aber nicht die der allerwichtigsten?«
    »Nein, es gab Momente, in denen ich spürte, dass es … ich weiß nicht, es war wie ein stummer Widerstand. Es kam vor, dass Freunde und Unterstützer immer dann ausweichend wurden, wenn ich ihre Unterstützung am dringendsten benötigt hätte. Aber es dauerte, bis ich begriff, woher der Widerstand kam.«
    »Und du bist dir vollkommen sicher?«
    »Ja. Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass er zwei Mal sein Veto eingelegt hat. Bei Angelegenheiten, die ihn im Grunde nichts angingen. Ich sollte in der folgenden Regierung einen besseren Ministerposten bekommen. Stattdessen wurde ich ausmanövriert. Und kurz danach wurde ich für einen leitenden Posten im Rundfunk vorgeschlagen. Er war mir schon praktisch sicher, aber dann gab es in letzter Sekunde einen Rückzieher.«
    Ich wagte nie, es Manner zu sagen, damals so wenig wie später, aber Selbsterkenntnis gehörte nicht unbedingt zu seinen Stärken. Zwei Jahre zuvor war ich seine Wahlergebnisse bei den Urnengängen von 1970 bis 1983 durchgegangen und hatte festgestellt, dass sie nie besonders gut gewesen waren. Solange Manner ins Parlament gewählt wurde, geschah es immer mit knapper Not. Das war überraschend, denn er war seit seiner Jugend eine prominente Persönlichkeit, tauchte in den Medien auf und war Minister gewesen. Ich schloss daraus, dass die mittelmäßigen Wahlergebnisse auf den harten, kühlen Zug in seiner Persönlichkeit zurückzuführen waren, einen Zug, der ihm seltsamerweise nicht bewusst zu sein schien. Er begriff nicht, dass Menschen ihm auswichen und ihn verließen, weil er ihnen Angst machte. Im Falle Kekkonens dürfte das allerdings kaum der Fall gewesen sein.
    »Worüber habt ihr euch denn eigentlich unterhalten?«, fragte ich.
    »Über Gott und die Welt«, antwortete Manner. »Dubček. Die Olympischen Spiele in Mexiko. Das Angeln von Hechten, Kosygin. Und Mannerheim.«
    »Er wird sich wohl eher über deine Meinung zu Dubček als über deine Meinung zu Hechten aufgeregt haben«, meinte ich.
    »Manche Themen bargen Konfliktstoff«, gab Manner zu. »Außerdem war ich nervös. Damals verhielt ich mich, wie ich es auf der Straße gelernt hatte. Wenn man Angst bekommt, muss man angreifen und den anderen mehr Angst einflößen, als man selber hat.«
    Er schüttelte den Kopf, als er sich erinnerte.
    »Was hast du getan? Dumme Thesen vertreten? Ihn angeschnauzt?«
    Manner lächelte.
    »Ich fürchte, ich war ziemlich vorlaut. Ich glaube, ich habe die Fähigkeit der Machthaber in Frage gestellt, das Leiden ihrer Untergebenen wahrzunehmen.«
    »Die Fähigkeit darf man durchaus in Frage stellen.«
    »Stimmt. Aber deshalb gefällt es den Machthabern noch lange nicht, wenn man es wirklich tut.« Manner schien in Gedanken versunken zu sein und ergänzte: »Ich hätte ihn vielleicht auch nicht fragen sollen, ob er manchmal

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