Geh nicht einsam in die Nacht
Stenka Waenerberg zu ihr hin. Adriana hatte sich auf ihren Hocker geschoben, saß zusammengesunken darauf und sah aus, als würde sie jeden Moment in Stücke gehen. Stenka umfasste ihre Schultern, sah ihr in die Augen, beugte sich vor und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Adriana blickte zu Stenka auf, und der gequälte und in sich gekehrte Ausdruck in ihrem Blick verschwand. Langsam legte sich ein Lächeln auf ihr Gesicht, und daraufhin war es, als hätte jemand eine besonders helle Lampe eingeschaltet: Sie war die einzige Frau unter einem Dutzend Männern, und außer Untamo Tuomi sahen sie in diesem Moment alle an.
Doch sobald ein Problem gelöst war, tauchte auch schon das nächste auf. In der nächsten Pause kam der Tontechniker Tapsa, ein drahtiger Mann, dessen Nase von zu viel Schnaps rot und schwammig geworden war, zu Jouni und stellte sich ihm vor. »Paldanius. Sagt dir der Name was, Manner?« Jouni sah ihn an und wusste sofort Bescheid, ließ sich aber nichts anmerken: »Nein. Sollte er?« »Wenn ich sage, dass du mal einen Kumpel namens Repe hattest?«, sagte Tapsa Paldanius mit ruhiger Stimme. Gleichzeitig musterte er Jouni von Kopf bis Fuß mit der Miene eines Raubtiers, das bereit ist, in der nächsten Sekunde anzugreifen. Jouni sah, dass Paldanius eine Tätowierung auf dem muskulösen Unterarm hatte, eine Seejungfrau, und schätzte, dass mit diesem Mann nicht gut Kirschen essen war. Im Studio würde Tapsa Paldanius ihn nicht angehen, immerhin waren sie bei der Arbeit. Aber hinterher. Man wusste nie, Gewalt war immer eine naheliegende Möglichkeit; wo Männer zusammenkamen, lauerte sie überall unter der Oberfläche. Trotzdem machte Jouni sich keine Sorgen. Er ging davon aus, dass er auch diesen Burschen würde niederringen können. Wie alle anderen. Falls nötig. Aber er hoffte, dass es dazu nicht kommen würde. »Das ist lange her«, sagte er im gleichen kühlen Tonfall wie Paldanius. »Repe ist ein feiner kleiner Bruder«, sagte Tapsa in den Raum hinein. »Und ein treuer Kamerad. Der sich den Arm so schlimm verletzt hat, dass es ihm bis heute schwerfällt, einen Ball zu werfen.« »Repe hat es nicht anders gewollt«, entgegnete Jouni, »aber wenn du kämpfen willst, können wir sofort auf die Straße gehen.« »Ich will mich nicht mit dir prügeln, Manner«, erklärte Paldanius. »Ich möchte nur, dass du eines weißt: Du bist ein Drecksack und ein Schwein. Da kannst du an noch so vielen Universitäten sein, wie du willst, und in diesem Studio so viele schmalzige Lieder aufnehmen, wie du willst, du bist und bleibst trotzdem nichts als ein Schwein aus der Gosse.« Jouni sah ihm unverwandt in die Augen und lächelte kühl. »Danke für die Aufklärung. Beim Abmischen wirst du meine Stimme natürlich untergehen lassen?« Paldanius verzog nicht einmal den Mund, er sagte nur: »Ich bin stolz auf meinen Beruf. Diesen Stolz opfere ich nicht wegen eines Miststücks wie dir.«
Es war eine Session wie aus Dantes Inferno. Adrianas schlechte Tagesform und ihre panische Angst vor Untamo Tuomi, Ariels somnambules Auftreten und seine unfreiwillige Rolle als schwuler Troll, Jounis Scharmützel mit Tapsa Paldanius: es lief nicht gut für sie, und um vier hatte man zwar die B-Seite der Single eingespielt, aber mehr auch nicht. Stenka Waenerberg warf einen ängstlichen Blick auf seine Armbanduhr, denn ein paar Stunden später wollte er in der Rådmansgatan seine Einzugsparty feiern. Untamo Tuomi warf einen Blick auf die Uhr an der hinteren Wand des Kontrollraums und schüttelte gereizt den Kopf. Stenka sah die ungeduldige Geste, ging zu ihm und sagte etwas. Tuomi warf ihm einen kalten Blick zu, zuckte mit den Schultern, stand von seinem Stuhl auf, verließ den Kontrollraum und stellte sich mitten in den Aufnahmeraum. Er sah von Jouni zu Adriana und zu Ariel und sagte: »Uns rennt die Zeit davon, aber wir versuchen es. Wenn ich es richtig verstanden habe, ist die A-Seite eine Eigenkomposition von euch. Und, wer von euch hat das Lied geschrieben?« Er sprach die Worte »Eigenkomposition« und »wer« mit unverhohlener Verachtung aus. Ariel schluckte. Er trat einen Schritt vor und umklammerte seine schwarze Impala, als wäre sie ein Rettungsring. »Ich«, sagte er. »Du?«, entgegnete Tuomi ungläubig. Aus der Ecke, in der Jugi Eskelinen und Santtu Wuori saßen, hörte man ersticktes Lachen. »Ja, ich«, erwiderte Ariel schlicht. »Dann lasst mal hören«, sagte Tuomi müde, machte auf dem Absatz kehrt und ging in den
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