Geh nicht einsam in die Nacht
Umzugswagen des Unternehmens Viktor Ek zu hieven. Der Laster fuhr von der Fredriksgatan in die Rådmansgatan, und im Dunkeln zwischen den Möbeln und Plattenkisten hockten Ariel und Jouni. Adriana, die nach dem Fototermin immer noch überdreht war, saß zusammen mit Stenka und dem Fahrer vorne. Jouni hatte einen dieser Tage, an denen er Stenka nicht ausstehen konnte, und murrte:
»Du hast doch sicher gelesen, dass ein Oberst Bokassa in der Zentralafrikanischen Republik die Macht übernommen hat.«
»Nein, habe ich nicht. W-Warum erzählst du mir das?« Ariels Stimme klang gebrochen und zittrig, was ausnahmsweise jedoch nicht an seinem Stottern lag: Der Wagen fuhr über Kopfsteinpflaster, und es war unmöglich, die Erschütterungen zu parieren.
»Oberst Bokassa hat die örtliche Bourgeoisie abgeschafft und eine neue Ära der Gleichberechtigung zwischen allen Einwohnern proklamiert. Und hier sitzen wir und arbeiten umsonst für Stenka, obwohl er stattdessen Männer von Victor Ek hätte anheuern können. Ich glaube, wir könnten hier einen eigenen Bokassa gebrauchen.«
»Beruhige dich, Jouni«, sagte Ariel. »Wenn wir fertig sind mit Tragen, lädt Eppie uns bestimmt zu einem Bier und was zu futtern ins Bulevardia ein.«
Als sie die Rådmansgatan erreichten, schleppten sie brav Waenerbergs Habe in den sechsten Stock, glücklicherweise hatte das Haus einen Aufzug. Die letzte Fuhre mussten sie alleine übernehmen: Stenka blieb in der geräumigen Wohnung und begann, den Plattenspieler, den Verstärker und die Boxen anzuschließen. Auch Adriana blieb oben. Als Jouni und Ariel mit den letzten Kisten zurückkehrten, lief bereits Musik, Billie Holiday sang Lover Man . Stenka saß im größten Zimmer auf der Fensterbank. Adriana stand mit dem Plattenumschlag in der Hand im Raum, einige unbändige Locken fielen von ihrer Schläfe auf die linke Wange herab, und Jouni fand, dass sie glücklich aussah, bezaubernd glücklich.
»Es bringt Glück, eine Dame das erste Lied in einer neuen Wohnung aussuchen zu lassen«, erklärte Stenka fröhlich. »Ach übrigens, herzlich willkommen zur Einzugsparty, sie findet an dem Abend nach den Plattenaufnahmen statt.«
4
Geh nicht einsam in die Nacht.
Du weißt nie, was dir begegnet.
Du weißt nie, wessen Beute du wirst.
Bleib bei mir.
Sei mein Durst, sei mein Trank.
Geh niemals einsam in die Nacht.
(A. Wahl)
AM AUFNAHMETAG HERRSCHTE eine ganz andere Stimmung. Jouni traf als Erster ein, und als er Adriana ins Studio kommen sah, merkte er sofort, dass etwas nicht stimmte. Adriana kam zwar gerade noch pünktlich, war aber blass und angespannt, und wenn Jouni oder einer der Studiomusiker sie ansprach, sah sie weg. Jouni hatte keine Ahnung, was ihr fehlte, und Adriana gab keine Erklärung ab, in den ersten Stunden sagte sie kaum ein Wort, nicht einmal zu Stenka Waenerberg, der genauso ratlos wirkte wie Jouni.
Ariel kam nicht einmal pünktlich. Er traf mehr als eine halbe Stunde verspätet ein, um zwanzig vor zwölf statt um elf, und als er auftauchte, leuchtete er orange – er hatte das Hemd mit den Puffärmeln das ganze Frühjahr über praktisch ununterbrochen getragen – und war noch verwirrter als Adriana. Sowohl Stenka Waenerberg als auch der einzige Anwesende aus der Chefetage von Sonovox, ein Mann in den Dreißigern, der einen teuer aussehenden grauen Anzug trug, gingen zu ihm.
»Verdammt, Ariel, weißt du eigentlich, was Studiozeit kostet!«, fauchte Stenka.
»Man wundert sich schon darüber, dass Sie keinen größeren Wert auf die großartige Chance zu legen scheinen, die Ihnen hier geboten wird«, sekundierte der Sonovoxchef kühl.
Ariel holte währenddessen seine Hagström aus ihrem Koffer. Der Studiogitarrist Jugi Eskelinen, ein schlaksiger junger Mann mit blonden Haaren und einem Schnurrbart, hatte sich hinter Ariels Rücken geschlichen, um zu sehen, welche Gitarre der Neuankömmling spielte. Ariel sah Stenka Waenerberg und den Sonovoxdirektor mit einem seltsamen, trüben Blick an, als wäre er sich nicht ganz sicher, wer die beiden waren und was sie dort zu suchen hatten, und sang dann leise in holprigem und grammatisch fehlerhaftem Englisch:
»Green is my colour and so will stay.«
Der Manager und der Chef der Plattenfirma sahen erst Ariel und dann einander an und wirkten verständnislos.
»Eine Impala«, stellte Jugi Eskelinen fest und schien beeindruckt.
Ariel nickte zerstreut und murmelte: »Gestohlen.« Dann sang er wieder: »And painted, black.«
Für die
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