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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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Kontrollraum zurück, wo Tapsa Paldanius mit vor der Brust verschränkten Armen saß und durch die Glasscheibe Jouni anstierte. Ariel warf Jouni und Adriana einen scheuen Blick zu, nickte unmerklich und begann, das Intro zu Geh nicht einsam in die Nacht zu zupfen.
    Als das Stück anfing, saßen Jugi Eskelinen, Santtu Wuori und Aslak Österholm zusammen und warfen sich überlegene, vielsagende Blicke zu. Ariel hatte eine unsaubere Spieltechnik, und Jugi Eskelinen hatte einen Großteil des Tages damit verbracht, über seine Fingersätze den Kopf zu schütteln und ironisch zu grinsen. Nun grimassierte Jugi wüster denn je. Im Kontrollraum, hinter dem gewaltigen Mischpult, saß Untamo Tuomi und wirkte gelangweilt: Als Jounis, Ariels und Adrianas Gesang einsetzte, gähnte er ausgiebig, und seine an diesem Tag kleinkariert gemusterte Fliege wippte. Aber schon als sie zum Ende der ersten Strophe kamen – und schaust zurück, kehrst aber nicht zurück zu mir –, geschah etwas. Jugi Eskelinen warf Santtu Wuori einen hastigen Seitenblick zu, lehnte sich anschließend vor, stützte die Ellbogen auf die Oberschenkel und lauschte: Seine ganze Gestalt drückte Konzentration aus. Aslak Österholm wirkte verblüfft, und kurz darauf nickte auch Santtu Wuori anerkennend. Als die drei Sänger die zweite Hälfte des Refrains erreichten – bleib bei mir, sei mein Durst, sei mein Trank –, sangen sie ihre Stimmen tadellos. Alles gelang, sie trafen ihre Töne perfekt und phrasierten geschmeidig, und die einfache, aber dramatische Melodie stieg frei und unbändig zur Decke, während Ariel von Cis-Moll zu E und anschließend zu A wechselte. Nun erwachte auch Untamo Tuomi zum Leben. Der zerknitterte und übellaunige Ausdruck verschwand aus seinem Gesicht und wurde von zwei gehobenen Augenbrauen und einer Miene ersetzt, die nichts anderes als »nicht schlecht« bedeuten konnte. Einzig Tapsa Paldanius hatte weiter die Arme vor der Brust verschränkt und sah genauso abweisend aus wie zuvor.
    Als sie den ganzen Song gesungen hatten, wurde es vollkommen still im Studio. Jugi Eskelinen brach das Schweigen: »Das hast du geschrieben?«, sagte er halb fragend, halb konstatierend, und zum ersten Mal an diesem Tag klang seine Stimme ernst. »Ja«, antwortete Ariel und sah Jugi unverwandt in die Augen: »Es gibt dazu auch noch ein kurzes Gitarrensolo, das ich gerade weggelassen habe. Darf ich es dir zeigen?« Sein Stottern war verschwunden, es existierte kein Hauch von Unsicherheit in ihm, er wusste, dass er etwas von Musik verstand, er wusste, dass er die Gitarre zum Klingen bringen konnte, obwohl er die Finger falsch setzte, und er wusste, dass er ein gutes Lied geschrieben hatte. Ungewöhnlich, unsauber, und gerade deshalb gut. »Eine ausgezeichnete Idee«, meldete sich Untamo Tuomi zu Wort, »du gehst mit Jugi das Solo durch, und Aslak und ich machen uns in der Zwischenzeit Gedanken über das Arrangement.«
    In den folgenden zehn Minuten saßen Ariel mit seiner Hagström und Jugi Eskelinen mit seiner Rickenbacker in einer Studioecke und spielten abwechselnd Melodiephrasen. Ariel spielte seine auf eine sehr spezielle Art, er schlug mit dem Daumen der rechten Hand einen einfachen Basslauf, markierte die Akkorde gleichzeitig mit Mittel- und Ringfinger und brachte mit dem Zeigefinger eine rudimentäre Melodie zustande: Es hörte sich an, als würde er auf mindestens zwei Instrumenten gleichzeitig spielen. Im Kontrollraum saßen Tuomi, Paldanius und der Pianist Österholm und zerbrachen sich den Kopf über das Arrangement. Stenka Waenerberg ging in die Gesangbox und setzte sich auf Ariels leeren Schemel neben Adriana, die beiden plauderten. Jouni machte es wie Santtu Wuori, der Bassist Rivo Paananen und einige andere: Er zündete sich eine Zigarette an, rauchte sie, zündete sich noch eine an, rauchte, wartete. Nach fast vier Stunden Arbeit waren alle Aschenbecher voll und die Studioluft vom Zigarettenrauch giftblau, eine dicke Tabakwolke hing wie ein aromatisches Tiefdruckgebiet über den Anwesenden. Als zehn Minuten vergangen waren, schenkte Jugi Eskelinen Ariel ein schiefes Lächeln und sagte: »Du bist ein seltsamer Typ, Wahl. Den ganzen Tag habe ich gedacht, du bist ein schlechter Witz und dass du nicht spielen kannst, und dann kommst du hiermit an. Ich kann das Solo übernehmen, wenn du willst, aber warum sollte ich? Es sind nur acht Takte, und bei dir klingt es von Anfang bis Ende super. Spiel es selbst.«
    Sie begannen mit der Arbeit, und bei

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