Geheimakte Proteus
Ich denke zwar, dass sie sich da täuscht, aber die Entscheidung liegt bei ihr. Sie hat diese Gruppe gegründet, hat die ersten Mitglieder zusammengebracht, dieses Versteck für uns gefunden – und deshalb stehen wir in ihrer Schuld. Wir tun das, was sie uns sagt. Wir haben ihr versprochen, dass wir sie zuerst mit dir reden lassen, ehe wir dich in die Mangel nehmen. Aber nachher …«
»Tut doch, was ihr wollt«, sagte Tristan.
»Du hast bloß Glück, dass sie noch nicht da ist. Eine Art Aufschub, könnte man sagen. Aber das wird nicht lang dauern. Sie ist schon unterwegs.« Er grinste – nicht gerade ein hübscher Anblick. »Und während wir hier warten, kannst du dir ja die Zeit mit einem alten Freund vertreiben. Ein Wiedersehen, könnte man sagen.«
Krek gab Callin ein Zeichen, worauf dieser sich von dem Vid abwandte, in dem gerade Nachrichten liefen, und Tristan gemeinsam mit Krek durch einen muffigen Korridor schleppte, den beiderseits Türen säumten, die früher einmal in Lagerräume geführt haben mochten.
»Ja, Verräter Tristan«, sagte Krek. »Wir haben Okasan versprochen, dass wir dich uns erst dann vornehmen, wenn sie mit dir gesprochen hat. Aber für das, was jemand tut, der nicht zu Proteus gehört, sind wir ja nicht verantwortlich, oder?«
Sie blieben vor der letzten Tür des Korridors stehen. Sie stand offen. Krek klopfte an den Türstock.
»Besuch!«, sagte er.
Dann stießen er und Callin Tristan hinein und schlossen die Tür hinter ihm. Er hörte sie beim Weggehen lachen.
Tristan blickte sich schnell um – zwei Betten, eine schwache Leuchtplatte in der Decke, ein alter Aluminiumklapptisch mit zwei nicht dazu passenden Stühlen …
… und jemand, der mit dem Gesicht zur Wand auf dem Bett zu seiner Rechten lag.
Tristan sah zu, wie die Gestalt sich regte, sich zur Seite wälzte und sich schließlich auf der dünnen Matratze aufsetzte. Er stellte fest, dass die Gestalt einen dicken Verband an der rechten Schulter trug. Und als er die echsenartige Haut und die mächtigen Fänge in ihrem Gesicht sah, trat er einen Schritt zurück.
Eel.
»So«, sagte der Mimikgladiator mit seiner rauen Stimme. »Du bist das also.«
Jeder Instinkt in Tristan riet ihm wegzurennen, aber es gab von hier kein Entkommen, und selbst wenn er sich hätte befreien können: Wohin sollte er gehen? Mit ihm würde es ohnehin bald aus sein. Warum also nicht hier?
Er sah den anderen an. »Ja. Ich. Hallo Eel.«
Eel stand auf und ging mit schweren Schritten auf ihn zu. Seine Augen loderten. Tristan blieb stehen.
Mach es schnell. Tu es jetzt. Auf diese Weise brauche ich wenigstens Okasan nicht unter die Augen zu treten.
Eel schob sein Gesicht dicht an das von Tristan heran, so nahe, dass ihre Nasen sich fast berührten, und starrte ihn an. Tristan hielt dem reptilischen Blick stand. Er spannte alle Muskeln an, wusste, dass ihm die Krallen an Eels unverletztem Arm jeden Augenblick die Eingeweide aufreißen würden.
Aber der erwartete Schlag kam nicht.
Worauf wartest du?
Eel trat einen Schritt zurück und wandte sich ab.
»Die sagen, dass dein Name Tristan ist.«
Tristan wusste, dass das Gefühl der Erleichterung darüber, immer noch unversehrt zu sein, unberechtigt war, aber er konnte es nicht verdrängen.
»Die?«
»Diese geflohenen Mimiks hier.«
»Ja … Tristan.«
»Die haben mich zu einer Ärztin gebracht, weißt du«, sagte er, ohne Tristan dabei anzusehen. Seine Stimme war ausdruckslos, so, als würde er die Worte irgendwo ablesen.
»Ich habe den Verband gesehen.«
»Sie hat mir gesagt, ich hätte Glück gehabt. Großes Glück. Dass ich es nie lebend bis zu ihr geschafft hätte, wenn jemand mir nicht die Wunden verstopft hätte.«
»Ja, da hat sie wahrscheinlich Recht.«
»Aber das war keiner von diesen Mimiks. Die sagen, das musst du gewesen sein.«
»Nun, du hast ziemlich stark geblutet.«
Jetzt drehte sich Eel wieder zu ihm um. »Dann warst das also tatsächlich du. Warum?«
»Die Ärztin hat es ja gesagt – du wärst sonst verblutet.«
»Aber warum hast du das getan?« Er trat wieder vor ihn. »Ich war darauf aus, dich zu töten – und es hätte mir sogar Spaß gemacht. Dieser Schuss hat dir das Leben gerettet. Was sollte es dich kümmern, dass ich sterben würde?«
»Ich hatte keinen Streit mit dir.«
»Aber ich mit dir! Als die Polizei mich geweckt und mir gesagt hat, ein Mimikagent aus Kaze hätte meine Masque gestohlen, war ich wütend. Aber als ich dann feststellte, dass meine
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