Geheimakte Proteus
zurück.«
Wenn ich überhaupt zurückkommen kann.
Er hatte nicht das Herz, ihr zu sagen, dass die Wahrscheinlichkeit sehr groß war, dass sie im Begriff stand, Trev ein zweites Mal zu verlieren.
25
Kreks kräftige rechte Hand hielt Tristans Oberarm fest, als er ihn durch den Korridor führte.
»Du meinst, diese Masque wird dir helfen, Verräter? Das kannst du dir aus dem Kopf schlagen. Sosehr wir Trev auch gemocht haben – dass du so aussiehst wie er, wird keinen umstimmen.«
»Das ist nicht für euch«, sagte Tristan.
»Dann für den Datameister? Glückspilz. Als Verurteilter ist dir dein letzter Wunsch bereits erfüllt worden. Diese Lady da hinten ist ganz schön durcheinander. Aber die, zu der wir jetzt gehen, ist klar im Kopf.«
Krek brachte Tristan ruckartig zum Stehen und stieß ihn dann durch eine Tür rechts von ihm. Tristan taumelte hinein und stand vor einer alten Frau, die in ein langes, schwarzes Gewand gehüllt war, das von ihrem Hals bis zum Boden reichte; sie saß auf einem Stuhl in der Mitte des kleinen Raums.
Okasan.
Ihre Augen erfassten ihn und ließen ihn nicht los. Sie blickten so unendlich traurig und schienen zu wachsen, anzuschwellen, sich auszudehnen, bis sie den ganzen Raum beherrschten, bis er nichts anderes mehr sehen konnte, bis er in Gefahr war, in jene unergründlichen Abgründe des Leids zu taumeln.
Und dann ließen sie ihn los, huschten nach rechts, und er hörte, wie Okasans Stimme sagte: »Danke, Krek. Du kannst jetzt gehen.«
»Keine gute Idee, Okasan. Er hat nichts zu verlieren. Wer weiß, was er unternehmen wird.«
»Bitte. Ich weiß deine Besorgnis zu schätzen, aber ich weiß, was ich tue.«
Tristan spürte, wie Kreks Finger sich in seinen Arm pressten. »Ich warte draußen. Komm bloß nicht auf die Idee, dieser Frau etwas anzutun. Der Preis dafür wäre – unvorstellbar.«
Okasan etwas anzutun?, dachte Tristan, als Krek ihn losließ und zur Tür zurückging. Für was für ein Monstrum halten die mich eigentlich?
Er gab sich selbst die Antwort darauf: einen Massenmörder.
»Er hätte bleiben können«, sagte Tristan, als Krek den Raum verlassen hatte.
»Er hasst dich so«, sagte Okasan. »Warum willst du, dass er hier bleibt?«
Damit ich dir nicht allein in die Augen zu sehen brauche, dachte er. Aber er sagte nichts.
»Tristan, Tristan«, sagte sie und schüttelte langsam den Kopf und sah ihn dabei mit ihren traurigen Augen an. »Warum hast du mich angelogen? Warum konntest du mir nicht vertrauen?«
Diese Augen … wie die der Mutter eines Kindes, das man erschlagen hat … und Tristan hatte die Tat begangen.
Ein Dutzend Dinge, die er sagen könnte, gingen ihm durch den Kopf. Wie konnte man ihm die Schuld für all das Sterben geben, für den Tod so vieler Mimiks? Er hatte nicht gewusst, was er überbracht hatte. Er hatte nicht verlangt, dass sein Leben verschont wurde. Er würde auch tot sein – wenn Okasan nicht gewesen wäre.
So viele Erklärungen.
Aber er sagte nichts.
Stattdessen sprach Okasan.
»Ist es so schwer … so schrecklich schwer, jemandem zu vertrauen, Tristan?« Sie lächelte. »Du wolltest die Selbstheit, wolltest ein Mensch sein … und Vertrauen ist etwas so Menschliches.«
Er spürte einen ungeheuren Druck in seiner Brust. Vertrauen … hätte das ausgereicht, um diesen schrecklichen Genozid zu verhindern? Das Ungeheuerliche seiner Tat drang zu ihm durch, in seiner ganzen Schrecklichkeit, und schließlich drückte die Last ihn auf die Knie, und er schrie seine Schuld, seine Reue in einem langen, lauten Schrei heraus, der den ganzen Raum erfüllte.
Tristan kniete vor Okasan, die Hände vor dem Gesicht, weinte zum ersten Mal seit seiner viel zu kurzen Kindheit, völlig hilflos im Angesicht dieser überwältigenden Gefühle.
Und dann spürte er, wie sich Okasans Hand auf seinen Kopf legte, ihm das Haar glatt strich und ihn schließlich nach vorn zog, bis sein Gesicht auf ihren Knien ruhte. Er vergrub das Gesicht in den schwarzen Falten ihres Gewandes und gab sich ganz seinem Schluchzen hin.
Er fühlte, wie ihre Hand ihm über den Hinterkopf strich, ihn zu beruhigen versuchte. War es möglich, dass sie ihn nicht hasste? Nein. Wie konnte sie ihn nicht hassen?
Aber wenn … wenn … Okasan ihm vergeben konnte, dann würde er es vielleicht auch schaffen, sich selbst zu vergeben.
Als er schließlich wieder sprechen konnte …
»Selbstheit«, sagte er, ohne den Kopf zu heben. »Die haben mir die Selbstheit versprochen. Und
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