Geheimauftrag: Liebe
leicht um sich zu haben. Nun, er ist nicht oft im Haus, daher macht sein Besuch wenig Umstände. Ich wette, er war unterwegs, um durch sein Fernglas Tauben zu beobachten.«
»Allerdings.«
Culver und Nicholas gingen zu den Ställen. Charles schaute zu, wie sie sich entfernten, drehte sich um und kam zu ihr.
»Wenigstens Fothergills Geschichte stimmt.« Er winkte ihr, mit ihm ins Haus zu gehen. »Wenn er wirklich mit Culver verwandt ist, dann erscheint es eher unwahrscheinlich, dass er mit irgendwelchen finsteren Absichten hergekommen ist. Es wäre schon ein besonderer Zufall, wenn man sich ausgerechnet in der Grafschaft, in der man einen Mord begehen möchte, bei einem Verwandten einquartiert.«
»Dennoch.« Sie schaute ihn an, als sie den Flur hinabgingen. »Ich hätte gedacht, du fragst, ob er sich vorgestern Nacht in Culver House aufgehalten hat.«
»Hätte ich, wenn Culvers Wort von Wert wäre. Fothergill kann den ganzen Abend in einem Lehnstuhl keine drei Fuß von ihm entfernt gesessen haben, und trotzdem wäre ich mir nicht sicher, ob es dem alten Herrn aufgefallen ist. Und noch weniger dürfte er seine Abwesenheit bemerken. Sobald er sich in seine Bücher vertieft, könnte vermutlich eine Kanonenkugel vor seinem Fenster einschlagen, ohne dass er es bemerkt.«
Sie verzog das Gesicht. Da hatte er wohl recht.
Norris kam zu ihnen. »Soll ich den Lunch servieren, Mylady?«
»Sobald Lord Arbry aus den Ställen zurückkommt. Wir warten im Salon.«
»Selbstverständlich, Mylady.«
Nicholas gesellte sich im Speisezimmer zu ihnen, als sie gerade Platz nahmen. Er ging zum Kopfende des Tisches, und sein Gesicht war noch ernster als zuvor.
Sie blickte Charles an, aber sein Gesichtsausdruck verriet nichts. Schweigend widmeten sie sich dem Imbiss, der aufgetragen wurde: kalter Braten, Käse und Obst. Sie und Charles zumindest, denn Nicholas würdigte die Speisen keines Blickes.
Auch nicht Mrs. Slatterys Zitronenpudding, den Norris als Dessert servieren ließ. Doch inzwischen wirkte Charles ebenfalls geistesabwesend, und obwohl er den Pudding zur Hälfte aufaß, schien er mit den Gedanken woanders zu sein.
Es war Nicholas, der als Erster das Schweigen brach.
»Warum haben Sie sich nach Fothergill erkundigt?«
Charles schaute auf, an ihr vorbei zu Nicholas. Er wartete einen Moment, dann sagte er: »Weil es wahrscheinlich ist, dass es sich bei dem Gesuchten um einen der fünf Fremden handelt, die sich derzeit in der Gegend aufhalten. Im Augenblick kann man noch keinen ausschließen.«
Ruhig schälte er mit dem Obstmesser einen Apfel, während er Nicholas umfassend informierte. Nicht nur über ihre Überlegungen bezüglich des Mörders, sondern auch darüber, was sie bislang aus London über die fünf Männer wussten.
Sie beobachtete Nicholas, sah seine Überraschung, dass Charles so freimütig alles erzählte, spürte seine Verwirrung. Das, hoffte sie, konnte die Wende zum Guten bringen.
Charles hielt nichts zurück. Nach langem Zögern hatte er sich entschlossen, Nicholas in ihre Überlegungen einzuweihen, darauf hoffend, auf diese Weise seine Hemmungen auszuräumen, die ihn vom Reden abhielten.
Zwei Morde reichten. Außerdem, das wusste er, war die Sache noch nicht ausgestanden, würde vermutlich sogar weiter eskalieren, wenn sie nicht aufpassten. Er konnte sich keinerlei Rücksichten mehr leisten, denn ihnen lief die Zeit davon, und der Mörder kam immer näher.
Es war seine Aufgabe und seine Pflicht, der Gerechtigkeit Genüge zu tun und den Schuldigen zu finden. Für ihn persönlich war allerdings ein anderer Beweggrund unendlich viel wichtiger: Er musste für Pennys Sicherheit sorgen. Sie bedeutete ihm inzwischen mehr als nur eine hingebungsvolle, leidenschaftliche Gefährtin für seine körperlichen Bedürfnisse. Sie
war überlebenswichtig für ihn geworden, war die Basis seiner Zukunft – das einzig Wichtige, das er nicht verlieren durfte. Und deshalb musste er sie schützen. Auch für sich.
Genau das war der Grund, warum er alle Regeln brach, die er sonst befolgte, und Nicholas ins Vertrauen zog.
Nachdem er geendet hatte, schaute er Nicholas an, sah, dass dieser stirnrunzelnd seinen Teller betrachtete, eindeutig zutiefst beunruhigt.
Neben ihm streckte Penny einen Arm aus und nahm sich ein Viertel seines Apfels. Er folgte dem Weg des Obststücks zu ihrem Mund mit den Augen. Das Knacken, als sie hineinbiss, brach den Bann.
»Lady Carmodys Nachmittagstee«, erklärte sie und blickte über den
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