Geheimauftrag: Liebe
Dienstboten zur Familie. Man wusste Bescheid, woher sie kamen, was die Angehörigen machten. Sie alle empfanden Trauer und Verwirrung, und gleichzeitig hatte die gemeinsame Suche ein Gefühl des Zusammenhalts entstehen lassen, des Füreinander-da-Seins. Auch bei Nicholas. Schweigend nahm man auf die Schnelle ein einfaches Essen ein.
Hubert, der in einer anderen Gegend gesucht und seine Männer bereits unverrichteter Dinge nach Hause geschickt hatte, kam ebenfalls zurück und erfuhr erst jetzt die schreckliche Neuigkeit. Niedergeschlagen verabschiedeten sich die Essingtons kurz darauf. Charles, Nicholas und Penny begleiteten
sie zur Tür, bedankten sich für ihre Unterstützung und kehrten dann in die Bibliothek zurück.
Nicholas nahm Charles’ Vorschlag an – eigentlich war es mehr eine Anweisung –, Lord Culver einen weiteren Brief zu schicken und ihn von dem Mord an Mary in Kenntnis zu setzen.
Charles selbst setzte ein weiteres Schreiben für Dalziel in London auf.
Auf einem Stuhl sitzend beobachtete Penny die Szene, sah, wie Nicholas auf Charles’ Blatt schaute, konnte aber nichts in seinen Zügen lesen außer wachsender Sorge.
Nachdem die beiden Männer ihre Schreiben beendet und einem Boten übergeben hatten, beschloss Penny, sich zurückzuziehen, und wünschte Charles wie Nicholas eine gute Nacht, stieg dann die Treppe zu ihrem Zimmer hoch. Sie hatte Ellie ausrichten lassen, dass sie ihre Dienste heute Abend nicht mehr benötigte. Ellie und Mary waren befreundet gewesen, und das Mädchen musste erst einmal damit fertigwerden.
Und sie selbst? In ihrem Schlafzimmer ging sie zum Fenster und öffnete es. Schaute hinaus auf den Hof und die friedlichen Gärten dahinter, atmete tief ein und hielt die Luft an.
Sie dachte an den Mann, der neulich nachts bis in ihr Zimmer vorgedrungen war, dachte an Mary, die derselbe Mann nun, so schien es wenigstens, getötet hatte.
Warum Mary? Warum sie?
Trotz ihrer Trauer war sie unendlich dankbar, am Leben zu sein.
Dann endlich kam Charles herein. Wie immer lautlos, doch sie spürte seine Nähe, auch wenn sie nichts hörte. Er trat zu ihr ans offene Fenster, legte ihr die Hände um die Mitte und drehte sie zu sich um.
Sie hob die Arme, schlang sie ihm um die Schultern und schmiegte sich an ihn. Spürte, wie er sie an sich drückte, spürte
den Schauer, der ihn dabei durchlief. Er beugte den Kopf und küsste sie, nichts zählte mehr – nur dass sie hier waren, gemeinsam und am Leben.
Sie waren zuvor schon zusammen gewesen, aber nie so wie jetzt. Nie zuvor hatten sie sich die Bedeutung dieser Tatsache so klar vor Augen geführt, nie sonst alle Schutzschilde fallen lassen und jede Zurückhaltung aufgegeben, sich nie so unverstellt einander geöffnet.
Ihre Kleider lagen bald verstreut zwischen Fenster und Bett. Sie würden sich heute Nacht gehören, daran zweifelten beide nicht.
Der Mond war noch nicht aufgegangen, als er sie anhob und sie ihre langen Beine um ihn schlang, damit er sie nehmen konnte.
Keuchte, als er sich in ihr bewegte.
Dann hob sie den Kopf, beugte sich vor und küsste ihn, während sie in den Reigen der Lust gezogen wurde.
Dieses Mal herrschte nur tiefes Einvernehmen – der Wunsch, eins zu sein, den sie beide teilten.
Charles hielt sie fest, kam in sie, folgte keinem Plan mehr, nur noch seinen Instinkten.
Keine Eile, keine Hast. Spannung ja, aber kein ungestümes Drängen.
Lust hüllte sie ein, legte sich um sie, enthob sie der Welt. Sie verließen die Erde, erreichten den Mond, die Sterne und die Sonne – und verloren kein einziges Mal die Verbindung zueinander.
Sie waren zusammen, als sie den ersten hitzigen Gipfel erklommen, zusammen, als sie matt aufs Bett sanken. Zusammen, als sie sich gegenseitig das Haar aus der Stirn strichen, damit ihre Blicke sich treffen, sie einander ansehen konnten.
Als sie es begriffen und sich wunderten.
Keiner sagte ein Wort; sie wussten beide weshalb.
16
Am folgenden Morgen hatte sich die Nachricht von Marys Ermordung bereits wie ein Lauffeuer verbreitet. Gimby war ein Außenseiter, ein Einsiedler fast, gewesen, den kaum jemand kannte, sodass seine Ermordung für weniger allgemeines Aufsehen gesorgt hatte. Bei Mary hingegen verhielt es sich anders. Ganze Suchtrupps waren zusammengestellt worden, und so verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer in der gesamten Grafschaft.
Auf Wallingham Hall gab es zwar keine offizielle Trauer wie bei einem Mitglied des Herrenhauses, aber die Stimmung war ernst
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