Geheimauftrag: Liebe
Zweigen, die an dieser Stelle bis zum Wasser reichten.
Es handelte sich um ein Ruderboot, das dort an einem schweren, in einen Baumstamm eingelassenen Ring vertäut lag und sanft auf dem mit der Flut steigenden Wasser schaukelte. Ein rascher Blick genügte, um zu wissen, dass es sich um ein ganz normales Fischerboot handelte – mit Tauen, Takeln und zwei Ruten, mehreren Netzen und zwei langen Hummerreusen.
Charles wandte sich dem zweiten Boot auf dem Ufer zu, das vorne und hinten an Bäumen verzurrt war. Seine Augen wurden groß. Der alte Seemann hatte nicht übertrieben – das Schiff war ein kleines Meisterwerk, schlank und wendig. Wenn alle Segel gehisst waren, musste es übers Wasser fliegen.
Penny war bereits hingegangen und saß auf einem Holzbalken neben dem Bug, fuhr mit einer Hand verträumt den aufgemalten Namen nach.
Charles ging neben ihr in die Hocke. Julie Lea. Der Name sagte ihm nichts.
»Es ist der Name meiner Mutter.«
Er schaute Penny an, doch er konnte sie nicht gut genug sehen, um in ihren Augen zu lesen. So nahm er bloß ihre Hand und hielt sie einfach.
»Ihr Name lautete Julie – alle nannten sie so. Einzig mein Vater benutzte beide Namen: Julie Lea.«
Er blieb bei ihr, ließ ein paar Minuten verstreichen, dann richtete er sich auf. »Bleib hier. Ich muss mich drinnen umsehen.«
Das gestaltete sich nicht so leicht, denn eine Plane überspannte die Yacht – nichts anderes war dieses Schiff nämlich, wenngleich im Kleinformat. Vorsichtig öffnete er die Seemannsknoten am Heck und schlug die Abdeckung zurück.
Mast, Taue, Segel und Ruder – all die notwendigen Utensilien, die man zum Segeln brauchte, doch vermutlich gab es Interessanteres zu entdecken. Bei seiner Suche zog er schließlich unter der Vorderbank ein zerknautschtes Bündel Leinen hervor: einen Satz Signalflaggen.
Penny sah es. Sie stand auf, klopfte sich den Staub von der Hose, während er die Verschnürung löste, und kam um das Boot herum, um sich diese bunten Rechtecke anzusehen, die verschiedene Muster aufwiesen. »Was ist das? Ich kenne es nicht.«
Er zögerte, dann sagte er: »Es handelt sich um französische Marinesignale.« Daran konnte es keinen Zweifel geben. »Wenn die hier beispielsweise gehisst wird, muss die Yacht nicht direkt Kontakt mit einem französischen Schiff aufnehmen, sondern es reicht, in Sichtweite zu kommen.«
Penny streckte die Hand aus und berührte eine Flagge mit dem Finger. »Und die hier?«
Charles schwieg, dann sagte er: »Du weißt doch, was es ist.«
Sie nickte. »Das Wappen der Selbornes.« Luft zu bekommen war mit einem Mal nicht einfach. »Wie konnten sie es wagen?«
Er nahm die Flaggen wieder an sich und rollte sie zusammen. Mit ruhiger Stimme erklärte er: »Wir wissen noch nicht mit Sicherheit, was genau sie getan haben.«
Sie spürte, wie ihre Züge sich verhärteten. »Doch, das tun wir. Wann immer Amberly Papa ein Geheimnis verraten hat, das es wert war, verkauft zu werden, sandte er Smollet hinaus, um zu den Inseln zu segeln und diese Flaggen in Sichtweite eines französischen Schiffes zu hissen. Die Signalflaggen haben den Franzosen gesagt, wann und wohin sie den Logger schicken sollten, und dann ist Papa mit einer der Schmugglerbanden aufs Meer hinaus, hat mit einem Franzosen gesprochen. Er hat unseren Feinden wichtige Regierungsgeheimnisse verraten im Austausch für Pillendosen. Später dann machte Granville es genauso mit Gimby – und der ist jetzt ermordet worden.«
Abscheu und Ekel klangen aus ihren Worten, so heftig, dass sie meinte, sie schmecken zu können.
Charles’ Stimme blieb im Gegensatz zu ihrer kühl: »Obwohl die Abfolge sicher so ist, wie du sie darstellst, bedenke bitte, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht wissen, was genau sie ausgetauscht haben.«
»Etwas, wofür die Franzosen bereit waren, mit juwelengeschmückten Antiquitäten zu bezahlen – du hast doch selbst die Dosen gesehen.« Sie schaute weg.
»Stimmt, aber …« Er drückte ihr die zusammengerollten Flaggen in die Hand, dann fasste er ihre Arme und zwang sie, ihn anzusehen. »Penny, ich kenne dieses Spiel, seit dreizehn Jahren. Die Dinge sind oft nicht so, wie es bisweilen auf den ersten Blick aussieht.«
Sie schaute ihn zweifelnd an.
Sein Griff wurde sanfter. »Ich muss einen Boten nach London schicken – zu Dalziel, damit er die Geschichte noch einmal gründlich überprüft. Du hast selbst gehört, was Dennis Gibbs gesagt hat. Dein Vater mag da in etwas verwickelt gewesen
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