Geheimbünde: Freimaurer und Illuminaten, Opus Dei und Schwarze Hand (German Edition)
Heutige Rosenkreuzer, für die diese drei Bücher quasi heilig sind, glauben hingegen nicht daran, dass ein Autor oder ein Autorenkollektiv um das Jahr 1600 intellektuell in der Lage gewesen sei, sie zu verfassen. Zu tiefgründig und bedeutungsschwanger sei ihr Inhalt. Für sie sind die Bücher tief in der abendländischen Kultur verwurzelt und beruhen auf mystischen Traditionen, die bis in die Zeit der Pharaonen zurückreichen – Behauptungen, denen Historiker äußerst skeptisch gegenüberstehen.
Hundertprozentig erwiesen ist hingegen, dass die Rosenkreuzerschriften den Nerv all jener Zeitgenossen treffen, die sich nach Erlösung aus dem Elend ihrer Epoche geradezu verzehren. Wer auch immer die Bücher verfasst, bedient sich dazu des seit der Antike in Europa sehr beliebten Topos des Utopia, eines Ortes, an dem alles aufs beste geregelt ist, was in der realen Welt so gar nicht funktionieren will. Da wird gerecht geherrscht, alle haben genug zu essen, sind tolerant und zufrieden. Aber dieses Utopia-Konzept erhält einen völlig neuen «Dreh»: Es koppelt diese idealgesellschaftlichen Visionen nicht an einen Ort, sondern an eine Gruppe von Menschen, an die Rosenkreuzer. Plötzlich kann das, was sich normalerweise auf einer fernen Insel abspielt, jederzeit und überall Wirklichkeit werden. So mancher Leser der «Fama» mag gehofft haben, dass der Geheimbund an seine Tür klopft. Denn das Büchlein wird nicht vom «Mann auf der Straße» gelesen, sondern von gelehrten Männern – von denen sich etliche für würdig wähnen, Teil des Geheimbunds zu sein. Nur so lässt sich die Rosenkreuzer-Hysterie in weiten Teilen Europas erklären.
«Fama Fraternitatis» erscheint zunächst zusammen mit einer satirischen Generalkritik am Zustand der Wissenschaften in jener Zeit: «Allgemeine und General-Reformation der gantzen weiten Welt». Das spricht wiederum dafür, dass Andreae der Autor der «Fama» ist oder zumindest zum Autorenkollektiv gehört. Denn dieser Wunsch nach radikaler Reform deckt sich absolut mit seiner überaus kritischen Zeitsicht: «Falscher Adel, geheuchelte Religiosität, inhumanePolitik und eitle Gelehrsamkeit» stoßen Andreae während seines ganzen Lebens immer wieder auf. Andreae will eine radikale Hingabe an das Wort Gottes, die Bibel. Sie zu besitzen reicht genauso wenig aus wie sie einfach nur zu lesen. Sie muss «ausstudiret» sein. Denn nur «welcher sie recht verstehet/der ist Gott am aller gleichsten und ehnlichsten». Es wäre aber weit gefehlt, Andreae als Frömmler abzutun. Das Gegenteil ist der Fall. Er ist ein Anhänger der Magia naturalis, die Theologie mit der Welt der Physik und Mathematik zu verschmelzen sucht. Er fordert eine «vertiefte Naturerkenntnis». Denn durch Wissenschaft, speziell durch Mathematik, könne «die erfreulichste Gemeinschaft von Himmel und Erde hergestellt werden (…)». Doch dafür muss Schluss sein mit der Kleingeistigkeit der Gelehrten, ihrer Selbstverliebtheit und Streitsucht, ihrem Hang zum ewigen Wiederkäuen altbekannter Erkenntnisse.
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass eine der wirkmächtigsten Bücher der europäischen Geschichte von seinem geistigen Vater selbst bald schon verdammt wird. Für Andreae ist die «Fama Fraternitatis» mit ihrem Heraufbeschwören einer geheimen Bruderschaft wenige Jahre später eine peinliche Jugendsünde. 1619 schreibt er in einem weiteren Buch («Turris Babel»): «Wohlan, ihr Sterblichen, ihr dürft auf keine Brüderschaft mehr warten. Die Komödie ist aus. Die Fama hat sie aufgeführt und auch wieder eingerissen. Die Fama sagte Ja; jetzt sagt sie Nein.» Der Grund für Andreaes Verdammung ist, dass der Geist, den die Rosenkreuzer-Verfasser aus der Flasche ließen, sich schnell ihrem Einfluss entzogen hat. Die Abfuhr, die Andreae all dem zwielichtigen Volk erteilt, das nun im Namen der Rosenkreuzer mit Zauberkünsten und Hochstapelei den Menschen das Geld aus der Tasche zieht, verhallt jedoch ungehört.
Die «liederlichen Gesellen», «unglücklichen Alchymisten» und «Betrüger» schmarotzen weiter – bis der Dreißigjährige Krieg der ersten Welle der Rosenkreuzer-Begeisterung den Garaus macht. Dieser nicht enden wollende Gewaltausbruch und nicht eine Generalreformation baut ab 1618 den aufgestauten gesellschaftlichen und politischen Druck in Europa ab. Der Preis dafür ist der Todvon Abermillionen Menschen. Mitteleuropa braucht Jahrhunderte, um sich von den Verwüstungen zu erholen. Andreae schreibt von all den
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