Geheimcode F
aufgebracht. Eine Haarlocke hatte sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst und wippte bei jeder Bewegung mit. Alain machte ihr Vorwürfe, weil sie Tobias eingeweiht hatte. Aber erstens stimmte das nicht, sie hatte sich eigentlich ja nur entschuldigt, und dann war der Beweis von Tobias’ Unschuld ja längst erbracht! »Sie haben sechs Eisenbahnfahrkarten, also haben sie nicht gelogen!« schrie Françoise ihren Bruder an. Der versuchte sie jetzt etwas zu beruhigen: »Es steht so viel auf dem Spiel. Wir dürfen einfach keinen Fehler machen.«
»Das finde ich auch. Und deshalb sollten wir uns helfen lassen, wo es nur geht. Tobias’ Vater ist Tierarzt...«
»Das weiß ich, aber wir brauchen keinen, die Tiere sind putzmunter, die brauchen nur genügend Futter.«
»Aber wir können sie nicht ewig verstecken. Wir müssen es der ganzen Welt sagen, wozu Tiere mißbraucht werden...« Françoise’ Stimme klang verzweifelt. »Und sie können nicht ewig in diesem finsteren Loch bleiben!«
»Ja, ich weiß, mir fällt nur auch nichts Besseres ein als abzuwarten.« Mit einem »Ich will nicht mehr warten!« und Tränen in den Augen beendete Françoise die Diskussion und stürzte aus dem Zimmer.
Anastasia hatte ihren Sankt-Katharinen-Trunk in kleine, dunkle Fläschchen gefüllt. Der Jahresvorrat war also wieder gesichert, sie war sehr zufrieden. Mönchskutte und Priesterhaube hatte sie abgelegt, und mit ihrem Strohhut und der Schürze über dem langen Kleid sah sie jetzt wieder aus wie eine provenzalische Bäuerin.
»Hallo, wo kommst du denn her?« Ein mittelgroßer, blonder Hund näherte sich vorsichtig dem Haus. »Du siehst ja ganz abgekämpft aus, mein Kleiner, warte, ich werde dir zu trinken geben. Schönes, klares, reines Wasser!« Ihre Stimme klang freundlich, vertrauenswürdig. Tarzan kam näher, schnupperte an ihren Händen. Anastasia reichte ihm eine Schüssel mit Wasser, über die er sich sofort gierig hermachte. »Du armer, durstiger Hund. Wo gehörst du denn hin?« Während Tarzan weitertrank , untersuchte sie seinen zerschundenen Körper. Das Fell war struppig, er war mager und schmutzig, aber sonst sah er gesund aus. »Was haben wir denn da?« Anastasia löste eine Pfeilspitze, die in seinem Schwanz steckte. »Ein Giftpfeilchen, na, das ist ja wohl das letzte!« Tarzan blickte sie dankbar an. »Welcher Mensch bringt so etwas fertig? Das ist ja schrecklich!« Sie kraulte ihn liebevoll. »Ich werde mich ein wenig um dich kümmern müssen, mein Freund, was meinst du?«
Tarzan wedelte in freudiger Erwartung. Das Wasser und die Befreiung von dem piksenden Etwas an seiner Rute hatten ihn sofort für sie eingenommen. »Jetzt bekommst du erst einmal ein ordentliches Fressen!« Noch immer schwanzwedelnd folgte er ihr ins Haus. Schnell war ein herrliches Festmahl für ihn bereitet. An einem Tag wie diesem hätte ihm allerdings alles geschmeckt. Tarzan wurde zum ersten Mal seit langem wieder richtig satt. In diesem herrlich zufriedenen Zustand fehlte eigentlich nur noch ein weiches Plätzchen für seinen Verdauungsschlaf. Er fand es neben Anastasias Ofen und schlief sofort erschöpft, aber zufrieden ein.
»Dieses verdammte Tier!« Opa wischte sich den Schweiß von der Stirn. Seit Stunden führte sie das Schwein an der Nase herum, die Frühstückszeit war längst vorbei, es war heiß, und er fühlte sich einer Ohnmacht nahe. In einem völlig hirnverbrannten Anfall hatte er sich vorhin auch noch von Gerard überreden lassen, aus seinem Mantel — dem letzten Stückchen Heimat für Tarzan — tausend Schnipsel, viele kleine Heimaten für Tarzan zu machen, die er wie Hänsel und Gretel anstelle von Brotkrumen beim Gehen fallen ließ. Sein schöner Mantel!
»Wir müssen sie fangen!« Gerard warf vergeblich die Leine wie ein Lasso nach dem Schwein aus, das schon die längste Zeit vor ihnen hergetrottet war. So nah und doch so weit stand es und guckte hinterlistig. »Und wie, bitte? Sollen wir warten, bis sie von der großen Freiheit genug hat? Sie haben mir bei meinem Enkel geholfen, jetzt helfe ich Ihnen bei Ihrem Schwein, aber wir müssen uns beeilen, sonst falle ich um vor Müdigkeit.« Verzweifelt stapfte er weiter. Marie-Antoinette schien das nicht zu stören, sie knabberte hier an einem Blättchen, grub dort nach einer Wurzel, aber niemals lange genug, um sich einfangen zu lassen. Opa setzte sich und dachte nach. Was Ehrlichkeit nicht vermochte, vielleicht schafften es List und Tücke. Und wirklich: Opas letzter
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