Geheime Macht
hart gearbeitet hatte, um seine Bouda-Prinzessin zu werden. Wir hatten einen hässlichen Streit und gingen getrennte Wege. Keiner von uns hatte gesagt, dass es vorbei war. Wir hatten einfach nur aufgehört, miteinander zu reden.
Ich hatte ihn anrufen wollen. Ich hatte mir vorgenommen, es zu tun, nachdem wir Erra endlich besiegt hatten, aber während dieses letzten Kampfes wurde ich verletzt. Dabei kam heraus, dass ich eine Gestaltwandlerin war, und der Orden verlangte mein Erscheinen im Hauptquartier. Das war eine Einladung, die man nicht ausschlagen konnte. Also erschien ich vor Gericht. Ich dachte, es wäre meine Chance, im Orden etwas zum Besseren zu wenden. Es gab dort noch andere, die wie ich waren, heimliche Gestaltwandler, nicht ganz menschliche Wesen. Ich wollte beweisen, dass wir der Ritterschaft würdig waren. Ich hatte eine steile Karriere gemacht, jahrelang vorbildlich gedient und konnte es mit Auszeichnungen beweisen. Ich dachte, ich hätte eine Chance. Ich hatte es versucht, mit aller Kraft versucht, und am Ende war alles umsonst gewesen. Der Orden verstieß mich, und damit war die Sache erledigt.
Ich konnte die Vergangenheit nicht ändern, aber ich konnte an der Gegenwart arbeiten. Ohne Raphael fühlte ich mich elend. Ich wusste genau, warum ich nie das Telefon in die Hand genommen hatte. Klar, zum Teil war es Stolz. Zum Teil Wut. Ich hatte es satt, dass alle mich verurteilten. Der Orden verurteilte mich, weil ich eine Gestaltwandlerin war. Die Gestaltwandler verurteilten mich, weil ich den falschen Vater hatte. In einer Phase, als mir das Leben übel mitspielte, hätte ich Raphael als jemanden gebraucht, der mich nicht verurteilte, und ich war wütend, weil er es doch getan hatte. Aber ganz tief unten fühlte ich Angst. Solange ich ihn nicht anrief, konnte Raphael mir nicht sagen, dass es endgültig vorbei war.
Wie kam es, dass ich mich in eine Schießerei stürzen konnte, um mich im Kugelhagel einer überwältigenden Übermacht zu stellen, aber nicht genügend Mut zusammenkratzen konnte, um mit der Person zu sprechen, die mir am meisten bedeutete?
Ich ging in die Küche, nahm das Telefon und wählte Raphaels Nummer. Wir hatten etwas miteinander gehabt, verdammt! Wir liebten uns. Er fehlte mir. Und ich fehlte ihm zweifellos auch. Wir mussten aufhören, uns wie Idioten zu benehmen, und die Sache klären.
Das Telefon klingelte.
Er würde es verstehen. Wenn er mir nur die Gelegenheit dazu gab, würde ich ihn dazu bringen, dass er verstand.
Etwas Feuchtes berührte meine Wange, und mir wurde bewusst, dass es eine Träne war. Verdammt! Ich wischte sie weg. Es war gut, dass ich allein war und niemand es sehen konnte.
Der Anrufbeantworter sprang mit einem Klicken an. Raphaels Stimme sagte: »Raphael Medrano. Hinterlassen Sie eine Nachricht.«
Reiß dich zusammen. Bleib professionell.
»Hallo, ich bin’s. Jim hat mich gebeten, die Morde an eurer Grabungsstelle zu untersuchen. Ich muss dir ein paar Fragen stellen, also dachte ich mir, dass wir uns vielleicht morgen früh in meinem Büro treffen könnten.« Auf neutralem Territorium, wo mir keine Erinnerungen in die Quere kamen. Ich zögerte. »Ich weiß, wir sind nicht unter den besten Voraussetzungen auseinandergegangen, und das tut mir sehr leid. Wir beide haben ein paar Fehler gemacht. Ich hoffe, dass wir das beiseitelegen und versuchen können, bei dieser Ermittlung zusammenzuarbeiten.«
Du fehlst mir. Du fehlst mir so sehr!
»Ich hätte gern eine Chance, reinen Tisch zu machen. Ich … möchte dir ein paar Dinge sagen, die ich schon längst hätte sagen sollen. Wir sehen uns morgen.«
Ich legte auf.
Es klang irgendwie nicht richtig. Es war nicht ganz das gewesen, was ich hatte sagen wollen. Aber wenn ich hysterisch ins Telefon geschluchzt und ihm vorgeheult hätte, dass allein sein Geruch den Wunsch in mir weckte, mich zusammenzurollen und ganz klein zu machen, wäre das auch nicht besonders gut angekommen. Kummer und Tränen mussten warten, bis wir uns wiedersahen und miteinander allein waren.
Ich konnte es hinkriegen. Ich musste nur noch eine Nacht darüber schlafen.
Kapitel 3
Der Morgen brachte Licht und Magie. Ich brauchte ein paar Mi- nuten länger, um zu entscheiden, was ich anziehen wollte. Nicht, dass es irgendeinen Unterschied machte, aber ich entschied mich für meine hellblaue Bluse. Sie passte zu meinen Augen und sah nett aus. Dann streifte ich meine Lieblingsjeans über und betrachtete mich im Spiegel.
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